Aufpeppen alter Langweiler

■ „Keine Fälscherwerkstatt“: Richtig kleine Künstler adaptieren richtig große Künstler. Heute Vernissage im Buntentor

Heiß begehrt ist die Städtische Galerie im Buntentor. Wer dort abhängen darf, hat „es“ geschafft. Carlotta (7 Jahre) und Ikram (9 Jahre) haben es auch geschafft. Und mit ihnen 350 andere Nichterwachsene zwischen fünf und 15 aus Kattenturm, Huchting, Osterholz-Tenever, also dem riesigen, teils prolligen Einzugsgebiet des für Organisation und Konzept verantwortlichen Quartier e.V.; obwohl viele bis vor kurzem noch kein Museum von innen gesehen hatten. Bei ihrer ästhetischen Entjungferung wurden sie an Hand, Auge, Verstand (je nach Altersklasse) geführt von 25 Bremer KünstlerInnen – also nicht von MuseumspädagogInnen! In 25 Gruppen zogen sie durch Kunsthallen (Bremer und Bremerhavener), durch Weserburg, Moderssohn-Becker-Museum und Überseemuseum. Jeweils ein einziges Kunstwerk wurde dann genauer durchdiskutiert und anschließend zu Hause – das heißt im Spielhaus Friesenstraße, im Jugendfreizeitheim Farge, in der Grundschule Pulverberg, im Bürgerhaus Hemelingen und so weiter – in 33 Stunden (verteilt auf einige Wochen) – ja was – eben nicht kopiert, sondern mit Pinsel, Kleber und Zement weitergedacht. Popversierte Jugendliche würden das wohl „Cover-Version“ nennen. Die Ausstellungsmacher nannten–s „Bilder von Bildern – Keine Fälscherwerkstatt“.

Die GestalterInnen des schönen Katalogs ließen sich offensichtlich vom postmodernen, querzitierenden Geist der Aktion anstecken. In Anlehnung an Thomas Struths Fotos von Ausstellungsbesuchern in Gemäldegalerien sehen wir ein Foto von Kindern, die auf ein Foto mit Erwachsenen sehen, die wiederum inbrünstig ein rubensgroßes Bild bewundern. Es ist ein Kinderbild; auf ihm grinsen zwei sommersprossige Gören verdächtig hämisch. Kunst als Geben und Nehmen, Kunst als unendlicher Widerspiegelungsprozeß – zum Grinsen.

Nicht nur auf dem Katalogcover, auch in der Städtischen Galerie wird Kinderkunst präsentiert wie Hochkultur. Und siehe da: In exquisite Rahmen verpackt und klug, mit vielen Freiflächen gehängt, SIND sie Hochkultur – zumindest ein bißchen. Vor entspiegeltem Glas mutiert eine krakelige, steil abfallende Kinderschrift, die von einer Frau im Sturm erzählt, zu einem existentialistischen Kunstwerk: Die Macht der Hängung. Wahrscheinlich ginge es auch umgekehrt, wahrscheinlich würde ein Picasso, der achtlos auf einem Kinderschreibtisch rumlungert, harmlos wie Kindergekrakel wirken.

Die Rezeption der Kids war deutlich klassenabhängig, meinten die betreuenden Künstler; und zwar nicht nur schul-, sondern auch gesellschaftsklassenabhängig. Die von Vorbildung eher Unbefleckten – die Parsivalle der Kunst – bewunderten zum Beispiel Max Liebermann und die Holzmenschen Stefan Balkenhols: Booh, diese Künstler, die können was, was ich nicht kann. Dieser Baselitz dagegen; nichts als „Krikelkrakel“. Das können sie selber vielviel besser.

Rose Pfister von der Städtischen Galerie kennt noch einen zweiten Grund für die Vorliebe vieler Kids für den Realismus. Bis zum Alter von 14/15 ist es ihr Hauptjob, sich die Welt anzueignen, zu verstehen, zu strukturieren. Erst später gilt es, daran teilzunehmen oder zu kritisieren. Ein Sechsjähriger vor einem Papageienbild jubelt „Ein Papagei“ und ist dabei verdammt stolz auf seine Weisheit. Ein Sechzehnjähriger dagegen raunzt: „Ein Papagei. Kenn ich doch schon längst.“ Erst wenn man für sie – ein bißchen unfachmännisch – die Kunstgeschichte auseinanderdividiert in Seh- und Fühlbilder, können sie auch Abstraktes akzeptieren, und zwar als Widerspiegelung der Wirklichkeit: Da sieht man dann eben Gefühle wallen. Die Kids dagegen, die bereits Erfahrung hatten mit Kunst, wollten von Anfang an lieber Kienholz adaptieren als die Alten Meister. Im Alter von 15 ist dann aber bei allen Schluß mit dem Interesse für Kunst. „Das geht dann erst nach dem Abitur wieder los“, meint Pfister.

Die Kids vom Bürgerzentrum Neue Vahr durfmußten sich in der Weserburg mit Graubners eher monochromen Farbfeldern auf wattigem Untergrund herumschlagen. „Da hängen ja Sofakissen an der Wand“, staunten sie – und malten psychedelisierten Kandinski auf Betten und Kissen. Schließlich muß man sich vom „Langweiler“ Graubner nicht anstecken lassen. Und so herrscht ein wildes Gekringel vor. Vier Kids aus Osteuropa pflanzten gar rosettenartige Blumen auf ihre Kissen, die sie wohl aus heimischer Folklore kennen. Gisela Köster erzählt, wie die Kids Grunderfahrungen der Kunst im Selbertun nachvollziehen, und zwar eher unfreiwillig. Bei Territorialkämpfen um die je eigene Kissenfläche bei einer Gemeinschaftsarbeit stöhnten sie darüber, daß die eigene Farbe in den Tiefen des Kissens versickert, während die dämliche Farbe des noch dämlicheren Nachbarn immer ins eigene Terrain hineinrinnt. Irgendwann begriffen sie: Farbe rinnt, und: Kooperation heißt mehr als Abgrenzung.

Die meisten Arbeiten sind übrigens nicht Bilder, sondern Assemblagen auf den Spuren Spoerris, Kienholz' und Richard Longs. Letzterer hat zwar immer und ewig Steinkreise in Museen und Landschaft gelegt, doch bei ihren Jagden nach Fundstücken im Bürgerpark klaubten die Kleinen nicht nur Kiesel auf, sondern Colaflaschenverschlüsse, Plastikgabeln und jede Menge Überraschungseihüllen und -inhalte. Und auch ein paar sterbliche Überreste des Weihnachtsschmucks sind ästhetisch verbraten. Reduzieren auf Jugendtrash kann man die Collagen allerdings nicht. Manches undefinierbare Plastikteil erzählt von der Faszination am Seltsamen.

Großartige Erklärungen für die Einbeziehung von Alltagskrempel wollen die Jugendlichen aber nicht hören. „Da wenden sie sich sofort ab.“ Lieber erfahren sie Kunst körperlich. Vor Olaf Mentzels überdimensionierter Pistole fielen sie auf der Stelle tot um. Die Quartier-Frau Andrea Siamis vertrat die Ansicht: „Wir würden das nicht tun“. Darauf eine Redakteurin von Radio Bremen: „Schließlich kämen wir auch nicht so schnell wieder hoch.“ bk

Bis 15.1., Vernissage: 8.1. 16h