Zwischen den Rillen
: Nie mehr Wike-Waka

■ Nordische Glöckchen auf abstrakten Beats: Island-Clubbing mit Móa und Páll Óskar

Auf seiner Islandreise 1772 macht der schwedische Forscher Uno von Troil eine ungewöhnliche Beobachtung. Nachdem er den Inselbewohnern bei ihrem Wike-Waka-Tanz zugeschaut hat, notiert er in seinem Tagebuch: „Ein Fremder findet hieran gleichwohl wenig Vergnügen, denn die Isländer singen überhaupt sehr schlecht, ohne Takt, ohne Annehmlichkeit, besonders da sie von den neueren Annehmlichkeiten der Musik nicht die geringste Kenntnis haben.“

Inzwischen ist 1999, und die Sache sieht ein wenig anders aus. Das isländische Kollektiv GusGus schreibt Clubsounds für den Kunstbetrieb, das Beef Jerky Quartet aus Reykjavik arbeitet sich durch die Geschichte des instrumentalen Rockabilly, und Björk kuschelt mit Darkstepper Goldie und Drum 'n' Bass. Seit den Sugarcubes ist isländische Musik ein Popfaktor mehr auf dem globalen Markt, zudem kommt das gewisse nordische Eisprinzessinnen-Image aus verfrorener Schwermut und urzeitlichem Walhall-Mythos von Japan bis Paris gut an.

Der Name Móa nimmt sich im Zuge dieser Norderweiterung allerdings sehr fremd aus – schließlich bezeichnet das Wort einen ausgestorbenen neuseeländischen Laufvogel, der über drei Meter groß war. Das ist um so seltsamer, da auf Island, wie Wolfgang Müller erzählte, tatsächlich viele Frauen und Männer nach heimischen Vogelarten benannt werden – von der Bachstelze bis zum Birkhuhn.

Es mag der an solcherlei Verstrickungen gebundene Exotenbonus gewesen sein, der die Isländerin Móa im vergangenen Jahr zu Tommy Boy Records gebracht hat. Eine Jazzsängerin mit der abgeklärt quengelnden Stimme einer Nicolette, dem Aussehen nach irgendwo zwischen Uma Thurman und Madonna angesiedelt, das paßt zu einem gestandenen New Yorker HipHop-Label. 1994 hatte die heute 25jährige zwar eine CD mit der Elektronikgruppe Bong aufgenommen, doch die Band fiel nach sechs Hits in ihrer Heimat auseinander, weil sich auf Island nicht mehr als 5.000 Platten verkaufen lassen.

Entsprechend weltläufig geht es auf ihrem Solodebüt „Universal“ zu: Nordische Glöckchen klingeln über abstrakten Beats, verschrobene Moogbässe treffen auf Oboen oder Sixties-Soundtrack-Streicher; manchmal wird auch die allwissende Diskokugel hinzugeschaltet, dann zieht der Treck mit alten Syndrums Richtung Eighties. Offenbar wurde hier am ganz großen Crossover für den Tanzflur gebastelt, auch wenn der Dank in den Credits an diverse einheimische Sjöns, Bjarkis und Hjörleifurs geht. Mitunter werden sogar cabarethaft schlurfende Passagen ans Computerprogramm verfüttert, und als Coverversion gibt es „You only live twice“ aus dem gleichnamigen James-Bond-Film.

Aber auch wenn tausend Verweise winken, bei aller Zitatfreude bleibt „Universal“ stets dezent, unterkühlt und elegant. Hinter den Abziehfolien von sehr viel Style und gutem Geschmack blitzt eine Liebe zu feingewebten Popsongs auf, für die Móa so schön poetische Sätze wie „Living on a memory cloud“ geschrieben hat.

Überhaupt scheinen ihre Texte einem Schatzkästlein der Erfahrungen aus den neunziger Jahren zu entstammen, wenn es in „Rockets“ etwa heißt: „I feel the rockets you fired in the sky / When we first kissed and you looked into my eyes.“ Knallbumm, wie es halt ist im Leben, auf der Love Parade oder bei Alexa Henning von Lange.

Weil es ihm vor allem um die Liebe zum Liedgut der Cocktail-Ära geht, hat auch Páll Óskar in seinen Archiven gekramt. Als ehemaliger Musical-Sänger und isländischer Beitrag zum Grand Prix d'Eurovision de la Chanson 1997 ist seine CD „Páll Óskar og Casino“ ein Potpourri raffinierter Sixties-Hymnen. Von Henri Mancini oder der Titelmelodie aus „Barbarella“ und immer wieder Burt Bacharach, Bacharach, Bacharach wird nichts unversucht gelassen, was sich für die Lounge-Sofas dieser Welt eignet. Wenn man den zwei Dutzend Musikernamen in den Liner Notes glauben kann, durfte dabei halb Reykjavik mittun.

Andererseits gibt es zwischen der schnulzigen Lässigkeit eines Tom Jones oder Dean Martin und der Interpration durch Páll Óskar einen gewaltigen Bruch im Kontext. Wo die Originale sich zumeist mit Inbrunst ans International Jet-set heranschmeißen konnten, bleibt der Endzwanziger aus Island recht distanziert. Obwohl er auf dem Coverfoto nicht einmal vor minzfarbenen Jacketts zurückschreckt, sind die Songs einzig an den ursprünglichen Melodien orientiert. Stimmungsvoll oder gar melancholisch sind die Versionen deshalb nicht: Wenn die Band Herb Alperts „Herbalife“ nachspielt, dann klingt es kaum nach Tanzorchester, sondern viel eher wie eine zeitgemäß minimalistische Barvariante, zu der man sich genausogut ein paar DJ-Mixe von Kruder & Dorfmeister vorstellen kann. Nicht von ungefähr galt Páll Óskar bislang als schwuler Techno-Aktivist in schwarzem Leder, der schon 1993 als Drag- Queen in New York auftrat.

Gegen Ende der CD gehen dann doch die Pferde mit der Band durch. Das israelische „A ba ni bi“ klingt nach Faschingshit, und auch „hava nagila“ reiht sich unter die bekannten Kneipenfolklorismen ein. Vielleicht ist die isländische Idee von „Glamour“, von der Páll Óskar in Interviews häufig spricht, doch um eine Ecke zuviel gedacht. Harald Fricke

Móa: „Universal“ (Tommy Boy/eastwest)

Páll Óskar: „Og Casino“ (New Music)