Henstedt-Ulzburg läßt Kieler CDU braun aussehen

■ Ab heute ist im Kieler Landeshaus die umstrittene Wehrmachtsausstellung zu sehen. CDU-Mitglieder ziehen seit Monaten dagegen zu Felde – auch mit neonazistischer Propaganda

Berlin (taz) – Schleswig-Holstein wird erst seit wenigen Jahren von Sozialdemokraten regiert. Bis zum Barschel-Skandal verwaltete die CDU das Land wie ein Fürstentum. Die politische Elite trug ihre Herzen meist auf dem rechten Fleck. Zwischen Flensburg und Ratzeburg gediehen alte Kameradschaften prächtig. Das Bundesland zählte zu den wenigen Teilen der Republik, in denen der NPD Ende der sechziger Jahre der Sprung über die Fünfprozenthürde gelang. Dieser gewisse Korpsgeist hält sich mancherorts bis heute. Etwa in Henstedt-Ulzburg, bei dortigen Parteigängern der Union.

Fünf Tage vor den schleswig- holsteinischen Kommunalwahlen am 22. März 1998 verschickten 21 Männer und Frauen eine zweiseitige Schrift an „Henstedt-Ulzburger Bürgerinnen und Bürger“, in der sie dazu aufriefen, der CDU ihre Stimme zu geben, um die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“, so wörtlich, „zu vereiteln“. Kurz zuvor war bekanntgeworden, daß die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung vom 8. Januar 1999 an im Landeshaus, dem Parlaments- und Regierungssitz, gezeigt wird. Wahrheitswidrig behaupteten die Unterzeichner „voller Empörung“, in der Ausstellung würden „in der Wehrmacht dienende Soldaten zutiefst beleidigt“.

Der Brief war typisch für die Geschichte der Ausstellung und für die Kritik an ihr. Im März 1995 war sie erstmals in Hamburg zu sehen. Sie kam einem Tabubruch gleich. Erstmals wurde öffentlich darüber gesprochen, daß die während der Nachkriegszeit kultivierte Überlieferung, nach der die Wehrmacht im Grunde nichts für den Terror des NS-Regimes konnte, nicht mehr war als ein unkeusches Märchen. Die Materialien, die die Ausstellungsmacher zusammentrugen, ergaben ein anderes Bild. Im Katalog zur Dokumentationsschau heißt es: „Die Wehrmacht spielte eine aktive Rolle beim Holocaust, bei der Plünderung der besetzten Gebiete, beim Massenmord an der Zivilbevölkerung und bei der Vernichtung der sowjetischen Kriegsgefangenen.“

Mehr als 600.000 Menschen haben sich seither die Fotos und Dokumente in deutschen und österreichischen Städten angesehen. Die Ausstellung, die ausdrücklich eine Kollektivschuldthese der Deutschen während der NS-Zeit zurückweist, hat steten Protest von Kameradschaftsverbänden, neonazistischen Gruppen und immer auch weiter Teilen der CDU und CSU provoziert. Die schleswig- holsteinische Union hat indes dem Streit um die bislang unangefochtene Gültigkeit der Befunde eine neue Qualität verliehen. Die Schreiben der „Henstedt-Ulzburger Bürgerinnen und Bürger“ enthielten mehrere verunglimpfende Behauptungen, deren weitere Verbreitung der Leiter des Instituts für Sozialforschung, der Philologe und Sozialwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma, mit anwaltlicher Hilfe hat verbieten lassen.

Unter anderem habe Reemtsmas Vater als Zigarettenfabrikant an den SS-Führer Heinrich Himmler „am letzten Führergeburtstag im April 1945“ in reichlichem Umfang Schmiergelder gezahlt und sei zum General der Waffen-SS befördert worden. Mit dieser gerichtlich untersagten Lüge sollte das Engagement Jan Philipp Reemtsmas diskreditiert werden – wie auch das des Ausstellungsleiters Hannes Heer, dem im Stile einer Vorhaltung nachgesagt wurde, sich universitär im Umfeld von Homosexuellen aufgehalten zu haben. All diese Unflätigkeiten gab es im Umfeld der Ausstellung öfters. Das Muster war immer gleich: Das Hamburger Institut für Sozialforschung sei ein Hort von Nestbeschmutzern, die nicht ordentlich arbeiteten und die Ehre deutscher Männer verletzten.

Reemtsma informierte Peter- Kurt Würzbach, CDU-Chef in Schleswig-Holstein, und seinen Hamburger Kollegen Dirk Fischer über den Wahlkampfbeitrag aus Henstedt-Ulzburg, hoffend, daß die Unionspolitiker sich vom Inhalt des Briefes, der zudem längere Passagen aus einem Pamphlet eines Hamburger Nazis enthielt, distanzieren. Würzbach antwortete am 30. April, verlangte aber im Gegenteil von Reemtsma, er möge „seinen persönlichen Einfluß“ geltend machen und die Ausstellung aus dem Landeshaus zurückziehen. Auch von Dirk Fischer kam keine angenehme Post. Er sekundierte seinem Kieler Parteifreund auf erschreckend uninformierte Weise. „Was die Person Ihres Herrn Vater angeht, frage ich mich natürlich nach dem Wahrheitsgehalt jener Vorwürfe, die das Bild des großen Unternehmers schwer erschüttern würden. Außerdem frage ich mich, wie sich denn der wirkliche Sachverhalt darstellt und ob sich Ihr Institut mit dieser Frage befaßt hat.“ Tatsächlich hat sich das Hamburger Institut just auch mit dieser Frage ausführlich beschäftigt.

Reemtsma nun schien es in seiner Antwort nur noch „wunderlich“, daß „Sie das von Ihren Parteifreunden aus Henstedt-Ulzburg verbreitete neonazistische Propagandamaterial für so überzeugend halten, daß Sie darüber nachdenklich werden und sich nach Wahrheitsgehalt und wahrem Sachverhalt fragen“. Gerhard Stoltenberg, ehemals Verteidigungsminister und Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, bezeichnete unterdessen Reemtsmas Kritik als eine „unsachliche Polemik“, die die CDU „in die rechtsradikale Ecke“ stellen solle.

Eine distanzierende Erklärung zum Brief der Henstedter-Ulzburger Unionsmitglieder blieb bis heute aus. Die Ausstellung ist von heute an im Kieler Landeshaus zu sehen. Jan Feddersen