Unsere verführerischen Lockstoffe

Manche Menschen mögen keine Körpergerüche. Andere sind geradezu süchtig nach dem Gemisch von Sekreten und Bakterien. Fest steht: Die Ausdünstungen von Leibern können darüber entscheiden, ob wir jemand mögen oder ihn schlicht abstoßend finden. Ob es jedoch beim Menschen – bewußt nicht wahrnehmbare – Sexuallockstoffe gibt, darüber wird in der Wissenschaft noch immer heftig gestritten  ■ Von Wolfgang
Löhr

Sie sind weder zu riechen noch zu schmecken. Doch obwohl Pheromone bewußt nicht wahrnehmbar sind, sollen sie das menschliche Sexualverhalten maßgeblich beeinflussen. Sie seien dafür verantwortlich, wenn menschliche Gehirne nur noch an das eine denken können, vor allem solche von Männern. Pheromone verändern deren „Informationsverarbeitung im Gehirn“, meint Professor Karl Gremmer von der Wiener Uni.

Der Biologe hat Pheromone getestet: Anhand von Bildern und Stimmen sollten männliche (heterosexuelle) Testpersonen die Attraktivität von Frauen bewerten. Ohne daß sie es merkten, mußten die Probanden während der Vorführung Pheromone einatmen. Ergebnis: Die Männer verloren ihr Differenzierungsvermögen und bewerteten alle Frauen als attraktiv. Vergleichsgruppen, die nicht den Lockstoffen ausgesetzt wurden, zeigten sich deutlich zurückhaltender.

Dieser Befund hat die Kosmetikindustrie heiß gemacht. Ein Griff zur Parfümflasche, und die Angebetete liegt einem willenlos zu Füßen. Seit langem schon suchen Wissenschaftler nach einem unwiderstehlichen Sexuallockstoff. „Wer die Gerüche beherrschte, der beherrschte die Herzen der Menschen“, heißt es in Patrick Süskinds Erfolgsroman „Das Parfüm“. Für dessen Hauptfigur Grenouille sind die menschlichen Gerüche das perfekte Manipulationsmittel. Aus Menschenhaut extrahiert Grenouille Pheromone und verarbeitet sie zu einem Parfüm, mit dem Menschen beliebig manipulierbar sind.

Wissenschaftlich gesichert ist, daß Körpergeruch menschliches Sozialverhalten beeinflussen kann. Er entscheidet mit über die Zu- oder Abneigung einer Person. Wer hat nicht schon erlebt, daß man den Partner allen Sympathien zum Trotz olfaktorisch nicht erträgt. Umgekehrt kann der Körpergeruch aber auch Beziehungen festigen. So soll sich der polnische König Heinrich III. mit einem verschwitzten Hemd von Maria von Cleve das Gesicht getrocknet haben – und war hernach unsterblich in sie verliebt. Napoleon übermittelte seiner geliebten Joséphine einmal kurz vor seiner Ankunft in Paris: „Wasche Dich nicht, ich komme.“

Immerhin 49,1 Prozent der Frauen und 47,2 Prozent der Männer empfinden Körpergeruch als sexuell stimulierend, hat die Psychologin Ingelore Ebberfeld von der Uni Bremen in einer Untersuchung über das innige Verhältnis von Geruch und Sexualität herausgefunden. Für ihre Befunde spricht auch das Geschäft mit gebrauchten Slips, die vor allem in Japan Höchstpreise erzielen sollen. Seit einigen Jahren ist sogar eine synthetische Imitation des Schweißgeruchs auf dem Markt. Der Kosmetikhersteller Kanebo wirbt damit, daß Männer bessere Chancen bei Frauen hätten, wenn sie ihre Unterhosen mit dem Duftstoff besprühten.

Ob es den Männern wirklich hilft, ist fraglich. Denn einerseits kann die persönliche Duftnote nicht einfach abgelegt oder verändert werden. Zum anderen aber scheint die Anziehungskraft des Körpergeruchs ein Wechselspiel zwischen zwei Personen zu sein. Sowohl die indiviuelle Duftnote des einen Partners spielt dabei eine Rolle als auch das spezielle Geruchsvermögen, aber auch die Vorlieben des anderen Partners – egal ob es hetero- oder homosexuelle Paare sind. Das spricht dafür, daß die Geruchsvorlieben erst im Laufe der menschlichen Entwicklung angenommen und nicht bereits bei der Zeugung biologisch festgelegt werden.

Die apokrinen Drüsen, die hauptsächlich für den Körpergeruch verantwortlich sind, beginnen ihre Produktion erst während der Pubertät. Diese Duftdrüsen, die mit dem Stoffwechsel des Körpers und dem Nervensystem verbunden sind, reagieren heftig bei Streß oder sexueller Stimulation. Bei Frauen ist die Drüsenaktivität unter anderem an den Monatszyklus gebunden. Auch Klimakterium oder eine Schwangerschaft sind nicht ohne Einfluß. Die Duftdrüsen „machen den Menschen“, so Ebberfeld, „zu einem der riechendsten Wesen unter den Säugetieren“.

Der Körpergeruch ist ein Geschlechtsmerkmal. Männer riechen anders als Frauen. Auch können die unterschiedlichen Körperregionen ihre eigene Duftnote haben. Die markantesten Geruchsquellen des Menschen sind die Achselhöhlen. Die wichtigsten Geruchskomponenten lassen sich auf die von Drüsen ausgeschiedenen Sekrete und auf die anwesenden Bakterien zurückführen. Sowohl die Zusammensetzung der Drüsensekrete als auch die Bakterienpopulationen, die den Schweiß zersetzen, sind so geschlechtsspezifisch wie individuell ausgeprägt.

Schon in den ersten Lebensjahren spielt die Geruchserkennung eine wichtige Rolle. Bereits wenige Tage nach der Geburt können Mütter ihre Säuglinge am Geruch erkennen. Umgekehrt erkennen die Neugeborenen den Duft der Mutterbrust, der sich aus Hautgeruch, dem Duft der laktierenden Brust und dem Achselschweiß zusammensetzt. „Insofern überrascht es nicht, daß Kleinkinder mit einem von der Mutter getragenen Kleidungsstück beruhigt und sogar zum Einschlafen gebracht werden können“, erläutert Psychologin Ebberfeld.

In späteren Jahren, wenn Entscheidungen nicht mehr vorwiegend nach Gefühl getroffen werden, sondern vermehrt auf rationalen Überlegungen basieren, scheint der Geruchssinn zunehmend verdrängt zu werden. Doch inwieweit Körperdüfte dann unser Verhalten steuern, darüber gibt es zahlreiche Spekulationen.

Einige Wissenschaftler meinen gar, die Partnerwahl werde genetisch gesteuert. Untersuchungen an Labormäusen hatten ergeben, daß der individuelle Geruch durch die Gene für den sogenannten Haupthistokompatibilitätskomplex (MHC), der wichtige Funktionen des Immunsystems steuert, mit bestimmt wird. Mäuse sollen den Verwandtschaftsgrad ihrer Artgenossen durch Schnüffeln erkennen können. Sie sollen sich nur Geschlechtspartner aussuchen, deren MHC sich deutlich von ihrem eigenen unterscheidet. So sei gesichert, daß die Nachkommen mit einer optimalen Genkombination ausgestattet werden.

Wie so oft schon bei anderen Tierstudien wurden diese Ergebnisse auch auf den Menschen übertragen: Frauen finden einen Mann besonders anziehend, wenn ihr eigenes MHC-Genmuster deutlich von dem des Mannes abweicht, heißt es jetzt zum Beispiel bei einem Schweizer Forschungsteam. Roma Festl vom Institut für Psychologie an der Universität Kiel interpretiert dieses Ergebnis gar als „natürlichen Inzestschutz“.

Abstrus wird diese These, wenn der mit dem MHC gekoppelte Körperduft auch noch als Begründung dafür herhalten muß, daß es nur wenige Multikultipartnerschaften gibt. Denn „der (biologisch) ideale Partner soll sich zwar deutlich unterscheiden, aber bitte auch nicht zu verschieden sein“, schreibt das Autorenteam um den Lebensmittelchemiker Udo Pollmer in seinem Buch „Liebe geht durch die Nase“, denn „nur so bekommen die Nachkommen einen optimalen Genmix in die Wiege gelegt“.

Die psychologische Wirkung der menschlichen Geruchsstoffe wird in Wissenschaftlerkreisen nicht bestritten. Auch die physiologischen Wirkungen sind weitgehend anerkannt. Anfang der siebziger Jahre fand man heraus, daß Frauen, die über einen längeren Zeitraum eng zusammenleben, ihren Menstruationszyklus angleichen. Auch „männlicher Achselgeruch vermag Einfluß auf den Zyklus auszuüben“, berichtet Ebberfeld, „so neigen Frauen, die länger ohne männlichen Kontakt leben, zu einem längeren Monatszyklus“. Wenn sie dann wieder häufiger in männlicher Gesellschaft sind, verkürzt sich ihr Zyklus wieder.

Nach wie vor umstritten ist hingegen die Frage, ob beim Menschen auch die geruchlosen und bewußt nicht wahrnehmbaren Pheromone wirksam sind. Vieles spricht dafür, doch wissenschaftliche Belege stehen noch aus. „Ein menschlicher Sexuallockstoff? Ich glaube nicht, daß es ihn gibt“, sagt Stephan Jellinek, einer der weltweit profiliertesten Parfümeure.

Säugetiere haben zum Aufspüren von Pheromonen ein spezielles Sinnesorgan. Das nach seinen Entdecker benannte Jacobsonsche Organ sitzt in der Nase und kann geringste Mengen von Sexuallockstoffen wahrnehmen. Lange ist darüber gerätselt worden, ob Vergleichbares beim Menschen existiert.

Erst kürzlich konnten Mediziner an der Berliner Charité den Nachweis führen, daß auch beim Menschen ein solches Organ in der Nasenscheide vorhanden ist. Offen mußten die Wissenschaftler lassen, ob das sechste Sinnesorgan des Menschen auch die aufgenommenen Signale ans Gehirn weiterleiten kann.

Wolfgang Löhr, 43, Elektromechaniker und Biologe, ist seit fünf Jahren taz-Wissenschaftsredakteur

Literaur: Ingelore Ebberfeld: Botenstoffe der Liebe, Campus, Frankfurt/M. 1998, 252 S., 39,80 Mark; Udo Pollmer u.a.: Liebe geht durch die Nase, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1997, 317 S., 34 Mark