Pastellfarbene Nierentische

Knallrote Küchenbuffets, Seifenkisten und anderer Beinahe-Sperrmüll: Durch Hamburgs erstes N-OSTalgie-Kaufhaus bummelte  ■ Oliver Steinebach

Ein pastellfarbenes Küchenbuffet, ein Lampenschirm mit Blümchenmuster und sperrige Radios: in dem Geschäft sieht es aus wie in einer Wohnung im Ostdeutschland der 50er oder 60er Jahre. Und das ist offensichtlich gefragt: Schon kurz nach der Eröffnung durchstöbern knapp 400 BesucherInnen das „N-OSTalgie-Warenhaus“ in der Hammer Straße 2. Angelika Wiefelspütz beispielsweise sucht nach Büchern und Schallplatten. Ihr fällt es sichtlich schwer, einige Exemplare im Laden lassen zu müssen: „Das sind viel zu viele seltene Stücke.“ Nur „Tristan und Isolde“ für 18 Mark – das müsse sie einfach noch haben.

Das N-OSTalgie-Warenhaus ist ein Projekt des Dresdener Vereins „Brücke zur Arbeit“, der seit einem Jahr in der sächsischen Hauptstadt Umzüge und Haushaltsauflösungen organisiert. Gut erhaltene Möbel, Kleidungsstücke, Elektrogeräte und nicht mehr benötigter Kleinkram aus Vorwendezeiten werden aufgearbeitet und stehen jetzt auf über 500 Quadratmetern in Marienthal zum Verkauf.

„Man greift sich an den Kopf, was die Leute alles wegwerfen wollen!“ Projektleiter und Vereinsgründer Peter W. Wölki kann den Erfolg seiner Idee immer noch kaum fassen: Er habe ursprünglich lediglich beweisen wollen, daß man mit der Verarbeitung von „Beinahe-Sperrmüll“ Arbeitsplätze für Benachteiligte schaffen könne. Insgesamt 60 MitarbeiterInnen, davon sieben in Hamburg, beschäftigt der Verein inzwischen – ausschließlich körperlich oder geistig Behinderte, Langzeitarbeitslose und ungelernte Jugendliche.

Zudem sind einige Waren „verdammt günstig“, findet Annette Wiechert. Die Fotografin begreift kaum, daß das Objektiv von Carl Zeiss nur 25 Mark kostet. Andere freuen sich über Keramikbecher, die zu den Resten der eigenen Aussteuer passen, oder die funktionstüchtigen, vom hauseigenen Fachmann geprüften Elektrogeräte. Martin Bade ist von einem vorzeitlichen „Bildwerfer“ angetan. „Am Stecker muß ich wohl noch basteln“, stellt er schulterzuckend fest. „Der paßt nicht in moderne West-Dosen.“

Wohnungen und Keller in Ostdeutschland sind oft wahre Schatzkammern für SammlerInnen und SchnäppchenjägerInnen, hat Wölki entdeckt. Zeitliche Verschiebungen in der deutsch-deutschen Geschichte machen den Verkauf möglich: Möbel und Kleinkram aus den 50ern und 60ern, von den Wessis schon vor 20 Jahren aus den Wohnzimmern verbannt, kommen jetzt wieder in Mode. Die Ossis misteten vielfach erst jetzt aus und seien heilfroh, den DDR-Kram loszuwerden. Und für die Nostalgie--Freaks aus dem Westen erfüllen sich alle Träume: von der knallroten Sitzgruppe über den Nierentisch bis zur Seifenkiste. Damit sich das Sortiment laufend ändert, rollt mehrmals wöchentlich eine neue LKW-Ladung N-OSTalgie aus Dresden an.