Macht und Mambo

„Die Kurve“ im Altonaer Theater  ■ Von Karin Liebe

Warten aufs Leben ist Warten auf den Tod. Am Anfang starren die Brüder Rudolf (Thomas B. Hoffmann) und Anton (Ralph Jung) stumm vor sich hin. Rudolf lächelt etwas debil und dreht an den Rädern eines viereckigen Skateboards, Anton glotzt entrückt in die Ferne. Dann steht Rudolf auf und horcht. Nein, da war nichts. Gemächlich setzt er sich wieder hin und läßt die kleinen Räder wie einen Rosenkranz zwischen den Fingern durchlaufen. Anton stiert weiter ins Leere.

Von Beckett kennen wir solche quälend stummen Szenen, in denen rein gar nichts passiert. Und tatsächlich hat Tankred Dorst sein Stück Die Kurve 1960 geschrieben, mitten in der Hochzeit des absurden Theaters. Wie Hamm und Clov in Becketts Endspiel, so sind auch Anton und Rudolf in einer eingefahrenen Beziehung aneinandergeschweißt – und warten vergeblich auf die Erlösung von außen. Bis Die Kurve in Falk Hocquéls Inszenierung auf der Foyerbühne des Altonaer Theaters allerdings wirklich die Kurve kriegt und absurden Charakter gewinnt, dauert es ein Weilchen. Mit sparsamen Requisiten und geschicktem Einsatz von Musik setzt Hocquél in seiner behutsamen Inszenierung erst nach und nach dramatische Akzente.

Da schaltet Rudolf das Radio an und wiegt sich im Rhythmus eines Mambos. Anton schaltet es aus. An, aus, an, aus. Ein zäher Machtkampf zweier ungleicher Brüder. Die beide auf den Tod warten, um leben zu können. Denn Anton und Rudolf wohnen in der Nähe einer scharfen Straßenkurve. 24 Autofahrer sind dort schon verunglückt. Und 24 Eingaben hat der sensible Anton, der so gerne ein berühmter Dichter wäre, schon an die Straßenbehörde geschickt, damit endlich ein Verantwortlicher die Kurve entschärft. Weil aber nie eine Antwort kommt, schlagen die Brüder inzwischen Profit aus der Todesfalle. Während Automechaniker Rudolf in Lederweste die Unfallwagen aufmöbelt und verkauft, hält Sensibelchen Anton in roter Strickjacke den Verblichenen Grabreden und zieht Blumen für den selbstentworfenen Friedhof.

Als Dr. Kriegbaum aus der Klappe im künstlichen Rasen wie ein Jojo hochschnellt (Bühne: Bettina Ginsberg), kommt endgültig Drive in die Inszenierung. Denn der 25. Unfalltote ist genau jener Beamte, an den Anton seit Jahren seine Petitionen richtet. Und vor allem: Er ist gar nicht tot. Höchst lebendig zieht der Ministerialdirigent (wunderbar entspannt: Klaus Falkhausen) einen ausziehbaren Dirigentenstab aus dem feinen Jackett und dirigiert, untermalt von Griegscher Violinmusik, sein eigenes Konzert, in dem er enthusiastisch die geplante neue Straßenführung feiert.

Wenn Kriegbaum dann noch mit Anton zum „Girl Of Ipanema“ das etwas steife Tanzbein schwingt, gerät Die Kurve nicht aus der Bahn, sondern höchst elegant auch noch aufs gefühlvoll-komische Pflaster. Wie frisch Verliebte liegen sich der pflichtbewußte Beamte und der komische Dichtervogel in den Armen. Das Warten hat sich gelohnt – für sie und für das Publikum.

noch bis 27. Februar, Altonaer Theater