Imagekampagne für einen verrufenen Bezirk

■ Seit der Wende haben 25.000 Menschen Marzahn verlassen. Mit höherem Komfort und dem Wohnquartier Biesdorf-Süd soll der Plattenbaubezirk wieder „schmuck und sicher“ werden

Europas größte Plattenbausiedlung arbeitet derzeit an einem neuen Image: Marzahn ist „mehr, als man denkt“, so steht es auf großen Plakaten in Berlin. Sie zeigen junge Männer mit Babys im Arm und dem Schriftzug: „Made in Marzahn“. Der Bezirk versucht, seine Bewohner im Kiez zu halten. Denn wenige Jahre nach der Wende hat die „Flucht aus der Platte“ begonnen.

Vor 20 Jahren hätte niemand die Plattenbausiedlung verschmäht. Die Wohnungsnot in Berlin war groß, etwa 100.000 Anträge auf Wohnungen lagen vor. Am 25. Februar 1975 beschloß daher die SED den Bebauungsplan für die Ackerfläche rund um Biesdorf/Marzahn. Zweieinhalb Jahre später stand das erste Wohnhaus im Plattenbaustil. Am 5. Januar 1979 wurde Marzahn offiziell gegründet. Mehr als 59.000 Wohnungen entstanden bis 1988. Täglich waren es bis zu 20 Wohnungen, die 8.500 Arbeiter fertigstellten. Heute leben 142.956 Menschen auf 3.185 Hektar.

Die Neumarzahner störten sich nicht an den grauen, 18geschossigen Klötzen und auch nicht daran, daß sie inmitten einer Großbaustelle lebten. Wegen der modernen Wohnungen war es ein Privileg, in Marzahn zu leben. Große Hoffnungen setzte die SED auf den neuen Bezirk, was sich in dem Richtspruch des ersten Wohnhauses ausdrückt: „Hunderttausend Menschen ziehen bald hier ein, und so soll ihr Leben schmuck und sicher sein. Sollen Rosen leuchten, kleine Wälder grün'...“

Vor allem junge Familien zogen in den neuen Bezirk, wo ohnehin schon viele in der dort ansässigen Industrie arbeiteten. Noch heute ist das Durchschnittsalter in Marzahn mit 36 Jahren extrem niedrig. Auch die junge DDR-Elite gehörte zur ersten Mietergeneration: Führungspersonal und Politprominenz. Die neuen Bewohner bauten den Stadtteil selbst mit auf. Etwa 910.000 Quadratmeter Grünfläche, das entspricht 110 Fußballfeldern, gestalteten die Marzahner in einer „Mach-mit-Bewegung“. Vorgärten und bepflanzte Balkone brachten Farbe in die triste Plattenbausiedlung.

Bis heute geben 80 Prozent der Haushalte bei Umfragen der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn regelmäßig an, gerne in dem Bezirk zu leben. Dennoch steht das Bezirksamt vor dem Problem, daß gerade Akademiker und Besserverdienende wegziehen. Seit der Wende kehrten schon 25.000 Menschen Marzahn den Rücken. Die Arbeitslosenquote liegt bei 14 Prozent. Bei den Bundestagswahlen gaben sieben Prozent der Marzahner rechtsextremen Parteien ihre Stimme.

Mit Arbeitsplätzen und höherem Komfort versucht der Bezirk, die Mieter zu halten. Das Gebiet Biesdorf-Süd soll ein neues Wohnquartier mit 4.700 Wohnungen in zwei- bis dreigeschossigen Häusern werden, umgeben von Grünflächen. Nördlich davon aber ragen die Plattenbauten in den Himmel. Mike Szymanski