■ berlin spinnt
: Andrea Fischers (un)bekannter Freund

Gesundheitsministerin Andrea Fischer hatte wie viele andere Bonner Politiker keine Lust auf den 100. Berliner Presseball. Statt mit Christiane Herzog und Berlins Regierendem Bürgermeister auf die mitternächtliche Autoverlosung zu warten, kam sie am Samstag abend einer wirklich wichtigen gesellschaftlichen Verpflichtung nach. Sie erwies einem Freund aus alten Berliner Zeiten zu dessen 30. Geburtstag die Ehre.

Die Rede ist von Christian Specht, den mangelnde Sauerstoffzufuhr bei seiner Geburt und fehlende Schreib- und Lesekenntnisse nicht davon abhielten, ein bekannter Politaktivist zu werden. Kennengelernt haben sich Fischer und Specht vor vielen Jahren bei der taz, wo die jetzige Ministerin im Satz arbeitete und wo es Christian mittlerweile zu einem eigenen Schreibtisch gebracht hat. Seine Robin-Hood-Karriere im Berliner Alternativmilieu begann vor etwa zehn Jahren, als er mit einem Holzmikrophon Umfragen in der Berliner U-Bahn machte. Seitdem ist er aus dem politischen Leben der Stadt nicht mehr wegzudenken. Mit Unterstützung der Grünen und der PDS ließ er sich 1995 sogar zum Bürgermeister-Kandidaten aufstellen. Ob Parteitage oder Demonstrationen – Christian gehört dazu. Und man muß ihn einfach lieben. Wer ihn nicht mag, ist selber minderbemittelt oder total bekloppt.

Weil Andrea Fischer keinen Hehl aus ihren Gefühlen macht, ließ sie sich am Samstag abend statt zum Presseball in das Internationale Congress Center in den „Prater“ in Prenzlauer Berg chauffieren. Mit ihr in der Dienstlimousine: das Geburtstagskind. Sie hatte ihn höchstpersönlich aus dem Arbeiterkiez Neukölln abgeholt, wo er bei seiner Großmutter wohnt. Zu deren großer Freude packte die Ministerin das Saxophon für den Enkel aus und tanzte später mit ihm Rock'n'Roll. Warum, erklärte sie mit folgendem Satz: „Vielleicht ist Christian Specht der einzige ,Verrückte‘ im politischen Betrieb, der sich keine Mühe gibt, dies zu kaschieren.“

Außer der Bonner Politprominenz gaben sich bei der gutbesuchten Geburtstagsfeier auch zahlreiche Berliner Grüne die Klinke in die Hand. Nachdem Andrea Fischer ihm ein Ständchen geblasen hatte, ließen vier grüne männliche Abgeordnete für den „ideellen Gesamtberliner“ (Fraktionschef Wolfgang Wieland) die Hosen runter und tanzten in weißen Strümpfen Schwanensee. Die PDS, bei der sich Christian ebenso zu Hause fühlt, überreichte ihm eine Karl-Liebknecht-und-Rosa- Luxemburg-Gedenktorte und richtete ihm eine Webseite im Internet ein (http://members.aol.com/DemoSpecht).

Einen Wunsch hat Christian allerdings noch: Er möchte nach dem Regierungsumzug in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen als Hausmeister anheuern. Ließe sich da nicht was machen, Frau Fischer? Barbara Bollwahn de Paez Casanova