Rote Nelken, rauher Einsatz

100.000 Menschen erinnerten an die 1919 ermordeten Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Die Polizei prügelte in die linke Demonstration  ■ Von Andreas Spannbauer

Dem Ausflugswetter zum Trotz ist die Berliner Demonstration zum Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg kein Sonntagsspaziergang geworden. Die größte linke Demonstration der Republik mutierte am gestrigen Sonntag zum Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen der Staatsmacht und den TeilnehmerInnen.

„Gleich bist du tot“, kündigt ein Polizist einem älteren Demonstranten an, der sich um Deeskalation bemüht. Obwohl von den rund zehntausend TeilnehmerInnen keine Gewalt ausgeht, schlagen sich Polizeitrupps immer wieder durch den Demonstrationszug, um einzelne Festnahmen durchzuführen. Die Polizei spricht von 34 Festnahmen – wegen Landfriedensbruchs und Vermummung.

Die etwa zehntausend aus Deutschland, Italien, Dänemark und Schweden angereisten Demonstranten kann der Einsatz trotzdem nicht aus dem Konzept bringen. „Ich kenn' das doch schon seit fünfzig Jahren“, sagt eine Frau, die extra aus Frankfurt am Main gekommen ist, um beim großen Familientreffen der ansonsten zersplitterten Linken dabei zu sein.

Entsprechend breit ist die Palette der Forderungen: „Den rechten Vormarsch stoppen“, „Verbot aller ABC-Waffen“, „Für den 6-Stunden-Tag“. Einträchtig reihen sich die Fahnen kurdischer Kommunisten an das Transparent des DGB-Ortsverbandes Berlin- Tempelhof, das Porträt des ermordeten kubanischen Revolutionärs Che Guevara an ein Bild des moskauhörigen KPD-Vorsitzenden in den 30er Jahren, Ernst Thälmann. Ein paar Witzbolde haben ihre Ikonen modernisiert: „Hoch lebe Arbeiterführer Spock“, haben sie in Anlehnung an die Fernsehserie „Raumschiff Enterprise“ auf ihre Transparente geschrieben.

Traditionell treffen sich am zweiten Sonntag im Januar bis zu einhunderttausend Menschen an der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde. Während die linksradikale Demonstration in der Innenstadt startet, mobilisiert die PDS ihre älteren Gefolgsleute direkt zu den Gräbern der Ahnen. Neben Tausenden niedergelegter roter Nelken ist hier auch der linke Basar vor dem Friedhofstor Tradition: Von den Stücken des Arbeitersängers Ernst Busch über die Mao-Bibel bis hin zum Antifa- T-Shirt ist alles zu haben, was das linke Herz begehrt.

Selbstverständlich haben sich auch führende PDS-Funktionäre eingefunden: Gregor Gysi, Petra Pau und die Bundestagsvizepräsidentin Petra Bläss beispielsweise. Als „Demokraten, die stets öffentlich wirksam waren und nie sozusagen für ihr Zentralkomitee Politik gemacht haben“, würdigt Parteichef Lothar Bisky die beiden Arbeiterführer, die am 15. Januar 1919 nach ihrer Festnahme von rechten Freikorps ermordet worden waren. „Auf der Flucht erschossen“, lautete damals die offizielle Version. Luxemburg, die in ihren Schriften stets auf die Spontaneität der Massen gesetzt hatte, wurde nicht zuletzt zum Opfer dieser Spontaneität: Sie selbst hatte den Aufstand als verfrüht kritisiert.