Das Erbe der DDR ist verspielt

■ Rußland gewinnt das Bremer Volleyballturnier, die deutschen Frauen werden Dritte und stehen wieder da, wo die bundesrepublikanischen vor der Wende standen: im unteren Mittelmaß

Bremen (taz) – Siegfried Köhler saß am Spielfeldrand und lästerte. „Ich kann in den VIP-Raum gehen und mir ein Bier holen. Außerdem sehe ich hier Spitzenvolleyball.“ Der Sarkasmus des ehemaligen Trainers der deutschen Volleyball- Frauen, nach der verkorksten Weltmeisterschaft in Japan im November zum Sportdirektor „befördert“, ist symptomatisch für die Lage beim Deutschen Volleyball- Verband (DVV). Beim Sechs-Nationen-Turnier in Bremen zeigte sich, daß das schmerzliche WM- Aus gegen die Nobodies aus der Dominikanischen Republik noch nicht der Tiefpunkt gewesen sein muß. Zwar erreichten die deutschen Damen noch einmal das Halbfinale, aber die Gegnerinnen Kuba, Rußland, Italien, Polen und Australien hatten allesamt bloß ihre zweite oder dritte Garde aufgeboten. Sie nutzten das Turnier als Etappe eines langfristig angelegten Aufbauprogramms. Das Finale gewann gestern nachmittag der russische Nachwuchs mit 3:1 (31:29, 25:22, 21:25, 25:17) gegen die Italienerinnen.

Die Deutschen hingegen, so wurde deutlich, haben kein Team mit Perspektive, keinen Bundestrainer und kein Konzept. Der erste Schritt des Neuaufbaus sollte Bremen werden. Als Interims- Bundestrainer holten die DVV- Oberen Axel Büring, im Hauptberuf Chefcoach des Bundesligisten USC Münster. Für sein Intermezzo als Köhler-Nachfolger lud der 31jährige 30 Spielerinnen ein. Aber es hagelte Absagen über Absagen. Susanne Lahme, Hauptfigur jenes Teams, das 1996 in Bremen das Ticket für Olympia und zwei Jahre später die WM-Qualifikation erkämpft hatte, ließ sich aus Italien ebenso entschuldigen wie Christina Schulz oder Hanka Pachale. Auch Sylvia Roll war für ihren brasilianischen Klub unabkömmlich. Und weil auch noch diverse Bundesligaspielerinnen dem Münsteraner einen Korb gaben, stand schließlich ein Zufallsteam auf dem Gummiboden. So war das Länderspieldebüt der eingebürgerten Tschechin Jana Vollmer (25) der einzige Lichtblick. Bezeichnend: Die Beach-Volleyball- Spezialistin konnte nur zwei Spiele mitmachen. Dann flog sie in die Schweiz, um für ihren Klub VC Schwachhausen zu arbeiten.

Die Deutschen waren mit einem Durchschnittsalter von 22 Jahren die Veteraninnnen in der Bremer Messehalle. Dennoch hatten sie gegen die im Schnitt 19jährigen Juniorinnen aus Italien und Rußland keine Chance. Zu viele Fehler bei der Aufgabe, mangelnde Übersicht im Angriff, zu wenige Varianten im Zuspiel. „Diese jungen Mannschaften fangen eben ein paar Jahre früher an als wir“, kommentierte Büring die 0:3-Schlappen gegen Italien und Rußland. Kuba, das mit einer besseren A-Jugendmannschaft gegen Deutschland im Spiel um den dritten Platz gestern mit 0:3 verlor, ist ein Beispiel für langfristige Planung: „Die Spielerinnen hier sind das Team für die Olympiade 2004 in Athen“, stellte Trainer Tomas Artiagas klar. Die Stars, die im November den WM-Titel geholt hatten, sind gerade in Italien und verdienen sich ein paar Lire.

Auch Italien, das europäische Schlaraffenland des Damen-Volleyballs, geht einen ähnlichen Weg: Die Talente sind im „Club Italia“ zusammengezogen und trainieren täglich drei bis vier Stunden unter professionellen Bedingungen. Der Frust des Liga-Alltags, wo sie bei den finanzstarken Klubs hinter ausländischen Stars auf der Bank versauern müßten, bleibt den Youngsters erspart. Allen ist klar, daß im deutschen Volleyball das Geld fehlt für ein solches Modell. Aber das ist das Dilemma: Ohne internationale Erfolge keine Sponsoren, ohne Sponsoren kein Geld für langfristige Arbeit usw.

Auch die neuen Regeln des internationalen Verbandes werden aus dem Volkssport Volleyball in Deutschland kein Medienereignis machen. Um die Spiele für das Fernsehen vorhersehbarer zu machen, wird jetzt im sogenannten „Rally-Point-System“ bei jedem Ballwechsel ein Punkt vergeben, nicht mehr nur bei eigenem Aufschlag. Dafür wird in jedem Satz bis 25 gespielt, nicht mehr nur bis 15. Außerdem darf beliebig oft ein sogenannter Libero eingewechselt werden, zumeist eine abwehrstarke Akteurin, um die Ballwechsel länger und spektakulärer zu machen. Die meisten Trainer und Aktiven waren sich nach dem ersten internationalen Test einig: Gewöhnungsbedürftig, aber das Spiel an sich hat sich nicht wesentlich verändert. Fehler werden allerdings härter bestraft. Es sei schwieriger als früher, Rückstände aufzuholen, meint der Interims- Bundestrainer Büring.

Ob er sich dafür hergibt, als Chefcoach die Rückstände im deutschen Damen-Volleyball aufzuholen, weiß Büring noch nicht. „Als Bundestrainer muß man Zeichen setzen und Strukturen verändern.“ Darin habe er „keine Erfahrung“. Die Analyse des Münsteraner Erfolgscoaches ist jedoch eindeutig, und sie fällt nicht eben schmeichelhaft für seinen Vorgänger Köhler aus. In den Jahren nach der Wende, als der ehemalige DDR-Trainer seine Ost-Elevinnen Lahme, Naumann & Co in neue Farben steckte, war das internationale Niveau der bundesdeutschen Volleyballerinnen vorübergehend angestiegen, im DVV reiften Blütenträume vom Durchbruch auf den Fernsehschirmen und saftigen Sponsorengeldern. In dieser Zeit sei aber die Förderung des Nachwuchses versäumt worden, rügt Büring. „Jetzt stehen wir wieder da, wo wir kurz vor der Wende waren.“ Harry Körber