Trittbrettfahrer der Arisierung

Auch Schweizer Unternehmer beteiligten sich an der von den Nazis betriebenen „Entjudung der deutschen Wirtschaft“. Wie der Journalist Urs Thaler an zwei Beispielen zeigt, legten sie dabei eine recht unterschiedliche Unternehmensmoral an den Tag  ■ Von Werner Trapp

Daß Schweizer Unternehmer in Nazideutschland Geschäfte machten, ist nichts Neues. Ob und wie sie sich dabei jedoch auch an der „Arisierung“ jüdischer Firmen beteiligten, liegt noch weitgehend in einem von Tabus umgebenen Dunkel. Nun wird dieses Dunkel erstmals durch eine fundierte Publikation erhellt: „Unerledigte Geschäfte“ heißt eine auf zwei Bände angelegte Studie des Schweizer Journalisten Urs Thaler, die am Beispiel der Zigarrenindustrie nach dem konkreten Anteil von Schweizern an der von den Nazis betriebenen „Entjudung der deutschen Wirtschaft“ fragt.

Zwei Fälle stehen im Mittelpunkt des soeben erschienenen ersten Bandes: Da ist zunächst die in Mannheim ansässige Zigarrenfabrik Feibelmann, die mit ihren über 1.000 Mitarbeitern 1933 zu den Großen der Branche zählte. Schon im Herbst 1933 tauchen die drei Besitzer der Zigarrenfabrik Hediger aus dem aargauischen Reinach in Mannheim auf und beteiligen sich mit 51 Prozent als Gesellschafter am Kapital der jüdischen Firma.

Doch sie tun das in einer wohl eher atypischen Weise: Den alten Eigentümern bleiben umfassende Rechte an ihrer Firma erhalten, auch wenn die neuen Mehrheitseigner nach außen den Eindruck zu erwecken verstehen, man habe das Unternehmen „erfolgreich arisiert“. Bald schon kursierten Gerüchte, es handele sich hier um ein „getarntes jüdisches Unternehmen“ – ein Vorwurf, den man gegenüber den nationalsozialistischen Behörden standhaft zurückwies.

Thaler spricht sogar von einer „schweizerisch-jüdischen Partnerschaft“, mit der man „den Nazistaat glatt ausgetrickst“ habe: Die Hedigers hatten den deutschen Juden nämlich im Gegenzug eine Beteiligung an ihrem Unternehmen in der Schweiz eingeräumt – eine Konstruktion, die den NS-Behörden weitgehend entgangen war. Diese Beteiligung brachte jedoch für die jüdische Seite eine ganze Reihe Vorteile.

Vorschnelle moralische Verurteilungen sind also, so Thaler, nicht am Platze. Was vielmehr zählt, sind die Rahmenbedingungen wie auch die konkreten Umstände des Einzelfalles. Zum einen zwang die nationalsozialistische Politik jüdische Unternehmer, ihre Betriebe unter Druck – und damit meist auch unter Wert – zu verkaufen. Je länger die Herrschaft der Nazis dauerte, desto mehr griffen sie zu dieser Praxis. Zum anderen wurde der „Arisierungshunger“ der Konkurrenz geradezu gefördert: Maschinenverbote und die strikt kontingentierte Zuteilung von Rohtabak beschränkten nämlich die Produktion – wer wachsen, wer expandieren wollte, konnte dies folglich nur durch den Zukauf von fremden Betrieben tun.

Viele jüdische Firmen aber standen nach 1933 zum Verkauf. Unter den Tausenden Zigarrenfabriken Deutschlands waren Hunderte in der Hand von jüdischen Besitzern – vor allem im alten Land Baden, denn damals wurde in der Oberrheinebene noch Tabak in großem Stil angebaut. Allein 109 Fälle von „Arisierungen“ jüdischer Zigarrenfabriken, zumeist aus Baden, hat Thaler aus Wiedergutmachungsakten rekonstruiert und in einem Anhang zusammengestellt. Viele der Besitzer konnten von dem Erlös ihre Flucht aus Deutschland finanzieren. Doch für nicht wenige folgte auf den Verlust der Existenz der Tod in einem deutschen KZ.

Für potentielle Käufer aber eröffnete sich hier offenbar ein weites Feld. Thaler lokalisiert das Verhalten dieser Käufer zwischen den Polen „Fairneß“ und „Skrupellosigkeit“. Und er insistiert auf jenes „Minimum an moralischen und ethischen Standards“ im Umgang mit unverschuldet in Not geratenen Geschäftspartnern, das sich nach der Lektüre des Falles Hediger/Feibelmann als Maßstab für die Bewertung auch der übrigen Fälle geradezu aufdrängt.

Daß es nämlich auch anders ging, zeigt ein nicht unbekanntes Schweizer Unternehmen – das der aargauischen Zigarrenbarone Max und Rudolf Burger. Diese kaufen 1928 im württembergischen Spaichingen eine Zigarrenfabrik – Auftakt zu einer beispiellosen Karriere in Deutschland: Bereits 1938 stellen rund 600 Mitarbeiter in vier Betrieben der Region monatlich sechs bis sieben Millionen Stumpen her.

Schon früh richtet sich Burgers Blick auch auf das benachbarte Baden. Dort waren in Emmendingen bei Freiburg gleich drei Zigarrenfabriken heimisch: Bloch, Odenheimer und Günzburger. Alle drei befanden sich im Besitz jüdischer Familien. Besonders Günzburger erweist sich als lukratives Objekt: Die Firma, die 1910 mit 30 Arbeitsplätzen ganz klein begonnen hatte, war 1934 zu einem stattlichen Unternehmen mit sechs Filialen und 1.200 Beschäftigten angewachsen. In der gesamten Region waren die beiden Eigentümer, Henri Richheimer und Martha Günzburger, hoch geschätzt.

Doch gerade das war NS-Organisationen wie der Deutschen Arbeitsfront ein Dorn im Auge. Als der politische Druck auf die Firma immer stärker wurde, entschlossen sich die beiden, „den Betrieb unter allen Umständen loszuwerden und Deutschland zu verlassen“. Genau zur rechten Zeit trat Burger auf den Plan. Und Burger kaufte günstig, man könnte fast sagen: zu einem Spottpreis. Im Oktober 1936 entläßt er die letzten jüdischen Angestellten. In den darauffolgenden Jahren sucht er aktiv – wenn auch vergeblich – nach weiteren jüdischen Kaufobjekten. Schon zwischen 1936 und 1938 verdreifacht sich der Reinertrag seiner Unternehmungen in Deutschland. Danach sorgt ein „eigentlicher Kriegsboom“ für Rekordgewinne – 1942 zum Beispiel in Höhe von 1.204.493 Reichsmark.

Eine besondere Nähe zum Nationalsozialismus wird man den Burgers nicht einmal nachsagen können. Sie „konzentrierten sich aufs Geschäft“ – blind für das, was um sie herum geschah. Zum Beispiel für die Tatsache, daß im Spaichinger Bulzen-Quartier, das nur einen Steinwurf von der Burger- Villa entfernt war, im September 1944 ein Konzentrationslager errichtet wurde. Dort fanden in kaum einem halben Jahr rund 160 Häftlinge unter qualvollen Lager- und Arbeitsbedingungen den Tod.

Henri Richheimer und Martha Günzburger waren unterdessen, wie so viele, emigriert. Sie wanderten in die USA aus. Ihr Los hieß fortan harte Arbeit um kargen Lohn. Henri Richheimer betrieb mit seiner Frau eine kleine Hühnerfarm, die gerade 1.000 Dollar im Jahr abwarf. Eine lächerliche Summe im Vergleich zu dem Gehalt, das er als Zigarrenfabrikant in Emmendingen bezogen hatte. Doch nach Deutschland zurück wollten sie nie mehr.

Wäre es nach Burger gegangen, hätte es dabei ruhig sein Bewenden haben können. Doch die Akte Burger–Richenheimer/Günzburger wird noch einmal aufgeschlagen, nach 1945. Langjährige Recherchen brachten Thaler auf die Spur eines amerikanischen Anwalts deutsch-jüdischer Herkunft namens Hans Strauss, der Richheimer und Günzburger nach Kriegsende half, ihre Ansprüche gegenüber Burger geltend zu machen. Das gesamte diesbezügliche Aktenmaterial liefert den Stoff für die spannenden Schlußkapitel des Buches. Da versuchte ein gewiefter Anwalt in den Jahren nach 1945, wenigstens für einen Teil des Schadens, den seine Mandanten erlitten hatten, eine Entschädigung herauszuholen. Ein schon deshalb schwieriges Unterfangen, weil Strauss bei den Burgers auf reichlich taube Ohren stieß. Diese hatten nämlich keinerlei Eile, auf die Briefe aus New York zu antworten. Man spielte auf Zeit, versuchte die anstehenden Verhandlungen zu verzögern und, wo sich Gelegenheit bot, auch mal zu torpedieren.

Die Burgers, so Thaler, waren sich auch nach 1945 treu geblieben: Sie haben „immer knallhart verhandelt, zahlten immer nur soviel, wie sie mußten, und nahmen soviel, wie sie bekommen konnten“. Von Unrechtsbewußtsein, von Schamgefühl gar, keine Spur. Wie sollte auch, was 1935, 1938, 1944 nicht als Unrecht empfunden wurde, nun plötzlich Unrecht sein?

Am Ende erhielten Martha Günzburger und Henri Richheimer eine „Kompensationszahlung“ in Höhe von 25.000 Dollar – einen Betrag, den die Burgers buchstäblich noch bis zur letzten Minute herunterzuhandeln versuchten. Es war lediglich ein „Trostpflaster“ für die zum Zeitpunkt des erzwungenen Verkaufs bei weitem zu niedrig bewerteten Fabrikanlagen, Liegenschaften und Warenlager, mehr nicht. Mit der Burger abgetrotzten „Entschädigung“ war den beiden Vorbesitzern ein „ruhiger Lebensabend“ im Exil gleichwohl nicht vergönnt – beide starben schon zu Beginn der fünfziger Jahre, fern der verlorenen Heimat.

Die Burgers wiederum durften sich der Früchte ihrer Geschäftstüchtigkeit nicht allzu lange erfreuen. Juniorchef Peter Burger verunglückte am Abend des 16. Januar 1953 tödlich mit seinem Auto, als er auf vereister Straße wohl etwas zu schnell von Spaichingen ins heimische Burg zurück wollte. Nur wenige Stunden später starb auch Senior Max Burger: Noch ohne vom Tod seines Sohnes zu wissen, traf ihn am Morgen bei der Rasur in seinem Badezimmer ein Herzschlag.

Dem weiteren Aufstieg der Burgerschen Unternehmungen in Deutschland hat dies keinen Abbruch getan. Schon in den 50er Jahren boomte das Geschäft wieder. Man zählte 3.500 Beschäftigte, so viele wie nie zuvor. Und nach einer Phase der Schrumpfung und Strukturvereinbarung in der Branche ist Burger unter den ständig weniger werdenden Zigarrenfabriken in Deutschland auch gegenwärtig noch immer ganz vorne mit dabei.

Urs Thaler: „Unerledigte Geschäfte. Zur Geschichte der Schweizerischen Zigarrenfabriken im Dritten Reich“. Orell Füssli Verlag, Zürich 1998. 240 Seiten, mit 50 Fotos, 68 DM (58 SFr)