■ Von neuen Berufsbildern und Zetteln in Schaufenstern: Frankfurter Chocko-Krässaus
Die Welt der Berufe, dies lehrt ein Blick in die Stellen-Angebote der Samstags-FAZ, birgt viele Rätsel. Viele Menschen gehen zwar nachweislich einer Beschäftigung nach, aber der gemeine Deutsche fragt sich ratlos: „Was machen die bloß den ganzen Tag?“ Womit sich beispielsweise die Inhouse-Beraterin und der R/3-Anwendungsberater so beschäftigen, wird wohl ebenso auf ewig ein Rätsel bleiben wie das Tagewerk des Bereichsleiters Süd. Auch, was man können muß, um erfolgreich im Supply Chain Management mitzuwirken, bleibt oft im dunkeln. Ob diese Leute eigentlich selbst wissen, was sie zwischen acht und 20 Uhr tun und wodurch sie sich dazu qualifiziert haben? Na egal: Solange sie – „faire Dotierung“ – anständig dafür bezahlt werden, sollten sie lieber nicht nachfragen – selbst wenn ihre Arbeitsplatzbeschreibung lautet: „HFC: von CATV bis hin zu Voice over IP“. Bei Daimler-Benz soll eine solche unbedachte Nachfrage einst zur Abschaffung einer ganzen Hierarchie-Ebene geführt haben. Tausende von hochmotivierten, kreativen Potentialträgern und Key-Account-Managern standen plötzlich auf der Straße und drückten sich hungrig die Nasen an den Schaufenstern der Sindelfinger Bäckerläden platt.
Sagte ich Bäcker? Ja doch! Es gibt schließlich noch Branchen, anhand derer man seinem Kind die Begriffe „Beruf und Arbeit“ veranschaulichen kann: Ein Schuster repariert Schuhe, ein Schornsteinfeger macht Dreck, Angst und Glück, ein Busfahrer fährt Bus – und ein Bäcker klatscht Backmischungen auf Bleche und hält die Ergebnisse feil. Mehr allerdings sollte man seinem Nachwuchs anhand des Bäckerhandwerks nicht erklären wollen – die wahre Backkunst nicht, und erst recht nicht die korrekte Schreibweise von deutsche Wörters. Die oben zitierte Frage des Volkes muß angesichts dieses Gewerbes nämlich variiert werden und lauten: „Was lernen die bloß in der Berufsschule?“
Es ist offensichtlich, daß es letztlich die Bäcker-Azubis sein werden, an denen die Rechtschreibreform zerschellen wird. Alljährlich versammeln sich Scharen frischgebackener Bäcker hinter Transparenten mit der Aufschrift „Pake, paake kuhen, vier scheisen auf den Duhden!“, und schwärmen aus in die Betriebe, um ihr zerstörerisches Werk aufzunehmen.
Das erste Mal aktenkundig wurden sie vor zwei Jahren in Ochsenfurt am Main: Der ortsansässige Bäcker, offenbar von der Backstraße im Stich gelassen, hatte sein Schaufenster mit kleinen „Prinzenrollen“ dekoriert. Das vom Azubi handgemalte Preisschild stand gleich daneben: Prinsen 2 DM. Da wollte die Fa. Wolf am Frankfurter Südbahnhof (Hinterausgang) nicht nachstehen: Sie ging mit dem Schild auf Kundenfang: Achtung! 17.30 bis 18.30 Uhr Feierabendpreiße!
Die Synthese aller Rätsel jedoch gelang seinem Konkurrenten am Frankfurter Lokalbahnhof: In seinem Schaufenster hing ein Zettel, angesichts dessen ganze Menschentrauben vor dem Fenster sich nicht nur fragten, was er in der Berufsschule gelernt hatte, sondern auch wieder: Was macht und verkauft dieser Mann eigentlich? Der Zettel verhieß: Chocko-Krässaus für 1,50 DM. (Wer rauskriegt, was das heißt, sollte sich bewerben bei Dr. Rochus Mummert & Partner: Die suchen einen Manager Human Resources. Oliver Thomas Domzalski
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