Haralda Schmidta

Harald Schmidts Polenwitze, wo sind sie hin? Ein kleines Forschungsprojekt  ■ Von Helmut Höge

Diese Late-Night-Show von und mit Harald Schmidt ist auch in Polen zu empfangen. Und das nicht, weil Sat.1 auch dort schwer baggert („investiert“), sondern weil Polen marktwirtschaftlich auf dem Quivive ist: „Wenn diese Sendung hier läuft, muß sie sich um Zuschauer bemühen – und also ihre Polenfeindlichkeit drosseln“, erklärte mir denn auch ein Warschauer TV-Produzent. Ob er damit meine, daß Harald Schmidt keine Polenwitze mehr einkauft, seit die Show auch in Polen angeschaut wird, fragte ich. „Genau das meine ich“, antwortete der Fernsehprofi und riet: „Achten Sie mal darauf, wenn Sie wieder zu Hause vorm Fernseher sitzen!“

Das tat ich. Und tatsächlich scheint sich der beliebte schwäbische TV-Entertainer inzwischen lieber mit Spaghettifressern (Italiener) und Fischköppen (Holländer) zu befassen zu haben. Am Osten interessierten ihn nur noch dann und wann die Ossis (ehemalige DDR-Bürger).

Im zentralen Arbeitsamt Frankfurt sitzt ein Ethnologe, der am liebsten Witze über Norweger macht. (Das aber nur nebenbei.) Zum Haralda-Schmidta-Phänomen meinte er, das Zurückfahren der Polenwitze in der „Harald Schmidt Show“ sei weniger der Ökonomie als der Halbwertszeit nationalistischer Witze geschuldet. Als Beispiel erwähnte er die Italiener-Witze, die sich, „nachdem unseren Eltern einst in Rimini die Autos aufgebrochen wurden“, um die Italo-Mafia drehten. Seit einer Spiegel-Titelgeschichte Mitte der 80er Jahre (Spaghettis mit Revolver auf einem Teller) sei es mit dieser Art Witze jedoch vorbei. Genauso wie heutzutage kein Mensch mehr Witze über krachlederne Bayern mehr mache. Selbst die Blondinenwitze seien schon wieder obsolet geworden bzw. hätten sich zu Praktikantinnenwitzen weiterentwickelt. Und selbst diesen sei inzwischen mit Monica Lewinsky der Garaus gemacht worden.

Allerdings hätte der Ethnologe da noch weiteres empirisches Material in Sachen Vormarsch der Praktikantinnen. So sei z.B. vom Bundeslandwirtschaftsministerium das „Bleibeverhalten“ von Jugendlichen in Braunkohle-Folgelandschaften untersucht und dabei ein „Auswanderungspotential“ von 60 Prozent im Osten (gegenüber 29 Prozent im Westen) ermittelt worden. Und interessanterweise reden dort zwar nahezu alle Jugendlichen vom Weggehen, aber nur die Mädchen tun's auch (ähnlich wie in Thailand, Polen und Rußland), während die Jungs bloß ihre Ausländerphobie „kultivieren“. Ein weiteres Praktikantinnen-Phänomen finde man bei den einstigen sorbischen Hausmädchen – wenngleich auf quasi höherem Niveau, nämlich als Medienmitarbeiterinnen von morgen. Nicht umsonst seien im Sorbischen die Miss-Wahlen, Disco-Queen- Wettbewerbe, Erotikmessen und Wet-T-Shirt-Contests derart hoch entwickelt...

Vom Kader eines polnischen Kulturinstituts bekam ich noch eine weitere Haralda-Schmidta- Erklärung: Die deutschen Polenwitze seien überholt, weil der Autobedarf in Polen inzwischen gedeckt sei und es dort kaum noch Autoschieberbanden gäbe. Nichtsdestotrotz dürfe man aber in Deutschland aus Angst vor Diebstahl noch immer mit keinem Leihauto nach Polen fahren. So wie auch die Berliner Luxus-Autovermietungen keine Cadillacs nach Kreuzberg vermieten, obwohl dort wegen der vielen türkischen Hochzeiten die Nachfrage am größten sei – und es wegen des Wegzugs der Autonomen in die Ostbezirke inzwischen in Kreuzberg sicherer sei als etwa in Prenzlauer Berg. „Das unwitzige Risiko-Bewußtsein hinkt der Entwicklung hinterher!“ Dazu käme – besonders in Ostdeutschland – noch der alteingestammte Polenhaß, den man sich so ähnlich vorstellen müsse wie die einstige Abneigung westdeutscher Spießer gegenüber anarchistischen Studenten. „Die Ostdeutschen stehen seit der Wende quasi mit dem Rücken zur Oder-Neiße-Grenze, aber überall, wo sie im Westen ankommen, sind die Polen bereits da – das verbittert sie! Die Polen machen denselben Fehler: Sie stehen mit dem Rücken zur russischen Grenze. Wenn sie dann endlich in Spanien, auf Kreta oder Zypern Urlaub machen, landen sie inmitten sowjetischer Wohngebiete – und fühlen sich prompt erneut bolschewistisch bedroht.“ Am besten wären also Russenmafia-Witze: „Da könnten alle Harald-Schmidt- Zuschauer drüber lachen!“ Die Berliner Boulevardzeitung B.Z. habe das bereits begriffen und eine große „Russen in Berlin“-Serie gestartet. Gleich zu Beginn berichtete sie, daß der Berliner Polizeipräsident (mit dem polnischen Namen Saberschinsky) ein lila Telefon habe, welches ihn bei Mafia-Problemen direkt mit Moskau verbindet: „Das ist besonders witzig, wenn man weiß, wer dort Polizeipräsident ist!“

„Die Harald Schmidt Show“: ab heute (0.40 Uhr) wieder auf Sat.1 (auch über Astra 11.288 MHz)