Stummheit der Soldaten

■ Eine Studie zu Feldpostbriefen als Beleg der latenten Gewalt in der deutschen Wehrmacht

Der Krieg hat Konjunktur, und das nicht erst seit den amerikanisch-britischen Bombenangriffen auf Bagdad. Neben den bunten Bildern des Guido Knopp im ZDF zirkulierten zuletzt ernstzunehmende Monographien, Erinnerungsbändchen und Tagebücher auf dem Gedächtnismarkt. Doch solche Dokumente, etwa Feldpostbriefe, wollen nicht bloß konsumiert, sondern auch befragt werden. Wie das überzeugend in den Antworten geschehen kann, zeigt eine eben erschienene Studie.

Der Historiker Klaus Latzel hat bereits im Titel der Untersuchung eine seiner Hauptthesen versteckt: „Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?“ Das Fragezeichen ist wichtig, denn mit ihm wird schon im Ansatz bezweifelt, was seit Jahr und Tag einen Teil der Veteranen – und nicht nur sie – umtreibt: daß nämlich grundsätzlich zwischen den Wehrmachtssoldaten und den Verbrechen, namentlich während des Vernichtungskrieges im Osten, kein Zusammenhang bestehe.

Latzel fragt nach dem Blick von Mannschaften, Unteroffizieren und subalternen Offizieren (vom Leutnant bis zum Hauptmann) auf den Krieg, also nach dem der großen Masse des Heeres. Die aber bestand gewiß aus mehr „als nur funktionierenden Automaten oder motivationsfreien Befehlsempfängern. Der Prozeß der Vergesellschaftung der Gewalt ist nicht allein mit den Zwangsmitteln des Staates durchgesetzt worden, sondern diesen kam eine wachsende Gewaltbereitschaft aus Teilen der Gesellschaft selbst entgegen.“ Es ist genau dieser Vorgang und sein prozeßhafter Charakter, dem Latzel auf die Spur kommen will. In den Feldpostbriefen, in ihrer Sprache und den darin abgelagerten „sozialen Wissensbeständen“ und Sinnzuschreibungen wird er fündig.

Der Einzelfall des 1921 geborenen Gefreiten Hans Olte steht im Kontext seiner Briefe im Mittelpunkt. Oltes Geschichte an der Ostfront, die er in Briefen gleichsam selbst verfaßt, gerät unter der interpretativen Hand Latzels zum „Fallbeispiel“. In der brieflichen Kommunikation mit den Eltern reproduziert Olte passend erscheinende NS-Deutungsmuster ebenso, wie ihm selbstgewisse Sinninstanzen mit zunehmender Kriegsdauer abhanden kommen.

Ein zweiter Durchgang erweitert das Beobachtungsfeld und systematisiert es. Eine Auswahl von 4.802 Briefen von insgesamt 39 Soldaten, darunter 17 Briefserien bzw. 2.053 Briefe aus dem Ersten Weltkrieg, erlaubt eine „um verschiedene Erfahrungsbereiche zentrierte Untersuchung des sozialen Wissens der Soldaten“. Vor diesem Hintergrund wird „das Verhältnis der Soldaten zu fremden Menschen“ betrachtet, der „Partisanenkrieg, Kriegsverbrechen und Judenvernichtung“ und ihre Brechung in der Korrespondenz analysiert, „das Verhältnis zu den gegnerischen Soldaten, das Erlebnis des Todes und schließlich der Sinn des Krieges insgesamt und der Ort der eigenen Person darin“ untersucht. Der immer wieder angestellte Vergleich mit dem Erfahrungsraum des Ersten Weltkriegs schafft Konturen darüber, was deutsche Soldaten „dazugelernt oder auch verlernt hatten“.

Besonders eindrucksvoll gelingt dem Autor der Nachweis einer „entgrenzten Gewaltbereitschaft“ im Krieg gegen die Sowjetunion und die mentale Nähe dieses Verhaltens zur kaum geglückten Verarbeitung des Ersten Weltkriegs. Anders als die kaiserlichen Soldaten bleiben die „Landser“ zugleich eigentümlich „stumm gegenüber ihren Angehörigen“, vor allen Dingen dann, wenn es um die Wahrnehmung des Todes geht. Ein Befund, der schon auf die Sprachlosigkeit der Kriegsgeneration nach 1945 verweise, „sprachlos vor allem gegenüber dem ausgeteilten, zunächst auch gegenüber dem erlittenen Leid“.

Latzel schreibt außerordentlich klar und hält eine Diktion durch, die um genaue Zustandsbeschreibungen und Definitionen bemüht ist, ohne bemüht zu wirken. Sicherlich trägt darüber hinaus auch die Fülle der Briefzitate zur Anschaulichkeit bei. Der wissenschaftliche Anmerkungsapparat sollte nicht schrecken. Latzel beschränkt sich ohnehin auf das Notwendigste. Bernd Ulrich

Klaus Latzel: „Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg? Kriegserlebnis – Kriegserfahrung 1939–1945“. Ferdinand Schöning Verlag, Paderborn 1998, 429 Seiten, 84 DM