Ein Schiff wird kommen

Wie der Wirbelsturm „Mitch“ einem deutschen Aussteiger in Nicaragua einen lange gehegten Traum erfüllte. Ein wahres Märchen  ■ Aus Managua und San Francisco Libre Toni Keppeler

Plötzlich sind sie wieder wer. Jahrelang hatte sich niemand mehr für sie interessiert. Erst waren 1990 die Sandinisten abgewählt worden, dann wurde 1996 mit Arnoldo Aleman auch noch ein alter Freund der Diktatorenfamilie Somoza Präsident.

Nicaragua ist heruntergekommen. Keine Projektionsfläche mehr für linke Träume in der Ersten Welt. Die Deutschen, die aus irgendwelchen Gründen einmal ins Land kamen und dort hängengeblieben waren, sind in bittere Vergessenheit geraten. Doch dann kam Ende Oktober der Wirbelsturm „Mitch“, und plötzlich waren sie wieder wer.

Gerd Striegel ist so ein Deutscher. Der gelernte Lehrer kam einst mit dem Deutschen Entwicklungsdienst (DED) nach Nicaragua und diente fünf Jahre lang als Aufbauhelfer. Als sein Vertrag ausgelaufen war, wollte er nicht mehr in die Heimat zurück.

Striegel, das hört man noch heute, ist am Bodensee aufgewachsen. Dort hat er viele Schiffe gesehen. „Irgendwann“, sagte er sich schon damals, „werde ich mein eigenes bauen.“ Er hat das zwar nicht gelernt, aber es hat es dann trotzdem getan. Als sein DED- Vertrag in Nicaragua ausgelaufen war, hatte er viel Zeit dafür. Und irgendwann war das Ungetüm fertig. Alles andere als schön, aber immerhin, es schwamm.

Zwei plumpe Rumpfe, dazwischen ein Schaufelrad, und darauf eine acht Meter lange Plattform. So war das Boot ein paar Monate lang samstags und sonntags die Touristenattraktion auf dem Managua-See. Die halbstündige Fahrt auf den ruhigen Wassern vor der Uferpromenade der Hauptstadt kostete ein paar Cordoba. „Wir haben an einem Wochenende tausend Dollar gemacht. Davon konnten wir die ganze Besatzung bezahlen.“ Die restlichen drei Wochenenden fuhr das Schiff nur für Striegel.

Doch dann kam ein großer Regen, der Wasserpegel stieg, und die achtzig Meter lange Mole, über die die Touristen aufs Schiff kamen, stand zwei Meter unter Wasser. Als der Pegel wieder sank, war die Mole weg und Striegel bankrott. „Das war eine harte Zeit. Aber mein Stolz hat es nicht zugelassen, daß ich zurück nach Deutschland gegangen bin.“

Er erinnerte sich daran, daß er einmal Hauswirtschaftslehre studiert hatte, und machte eine Fischbraterei auf. „Heute beliefern wir die besten Kantinen, ein paar Krankenhäuser und ein paar Firmen.“ So etwas wie „Essen auf Rädern“. Das Geschäft läuft gut. Das sieht man Gerd Striegel an. Nur

sein Schiff lag zwei Jahre lang auf dem Trockenen. Zwei neue Motoren wären nötig gewesen. Doch die konnte er sich trotz der Fischbraterei nicht leisten. Dann kam der Wirbelsturm. Fernsehbilder vom furchtbaren Erdrutsch am Vulkan Casitas gingen um die Welt. Spendenkampagnen liefen an. Und ein bißchen des Geldes kam auch zu Gerd Striegel.

Die Regierung von Präsident Aleman ist unfähig, die einlaufende Hilfe zu verteilen. Das sagte selbst das Rote Kreuz. Und in Bonn herrschte seit ein paar Tagen eine rot-grüne Koalition, und die ermunterte die quasi staatliche Entwicklungshilfeorganisation Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die Nothilfe auch über kleine sogenannte regierungsunabhängige Organisationen (NGO) zu kanalisieren.

So kam es, daß die kleine und erst vor kurzem entstandene NGO Ochomoro bei der GTZ einen Antrag auf Hilfsmittel stellte. Ochomoro ist zwar der Name einer Maya-Gottheit. Trotzdem wird die NGO mehrheitlich von Deutschen getragen, die irgendwann wie Striegel in Nicaragua hängengeblieben waren. Sie wollte Geld für zwei Motoren, mit denen Striegels Schiff wieder flott gemacht werden sollte. Nicht umsonst und ganz geschenkt. Nein, das Schiff sollte möglichst schnell wieder ins Wasser und Hilfsgüter nach San Francisco Libre bringen.

Dieser vergessene Ort am Nordende des Managua-Sees stand nach „Mitch“ zur Hälfte unter Wasser. Die einzige Straße dorthin war von einem reißenden Strom unterbrochen worden. Striegels Schiff sollte das Notwendigste zu den Abgeschnittenen bringen. 45 Freifahrten für je sechs Tonnen Last für 3.200 US-Dollar GTZ-Hilfe. Ein fairer Preis. Damit konnte Striegel zwei chinesische Zwölf-PS-Motoren anzahlen.

Mitte Dezember 98: Es ist schon länger als einen Monat her, daß „Mitch“ über Zentralamerika zog. Ein Teil von San Francisco Libre steht noch immer unter Wasser. Nur ganz langsam sinkt der Wasserspiegel des Managua-Sees, der unter den Regenmassen um vier Meter angestiegen war. Kinder angeln in den Riesenpfützen, die mitten im Dorf stehengeblieben sind, und ziehen tatsächlich kleine Fische heraus. Die Älteren vergnügen sich im Billard-Salon. Mittags um eins schon drängen sich die Jugendlichen um die vier Tische unter dem sengend heißen Wellblechdach.

Die Hütten in Ufernähe sind noch immer abgesoffen. Die Fischer rudern in ihren Booten drum herum. Daß mit den Hütten mehr als siebzig Latrinen abgesoffen sind, stört sie nicht. Der aus dem brauntrüben Wasser gezogene Fisch verkaufe sich trotzdem. Erst letzte Woche habe man einen Kühllaster aus Honduras gefüllt. Dort auf den Märkten fragt niemand, wo die Ware herkommt. Und die Straße nach San Francisco Libre ist schon längst wieder passierbar.

„Was?“ fragt Simeon Gutiérrez ungläubig. „Der Schiffsverkehr zwischen Managua und San Francisco Libre soll wieder aufgenommen werden?“ Er will es nicht glauben. Denn Gutiérrez ist stellvertretender Bürgermeister der 11.000-Einwohner-Gemeinde und müßte von den Planungen eigentlich wissen. Doch Striegel sagt in Managua, es solle „so etwas wie eine Überraschung sein“.

„Eine Schiffsverbindung nach Managua wäre nicht schlecht“, sagt Gutiérrez. Denn früher gab es schon einmal eine. Bis vor 25 Jahren haben selbst Viehzüchter aus Esteli gut siebzig Kilometer weiter im Norden ihre Herden nach San Francisco Libre getrieben und von dort auf den Markt nach Managua verfrachtet. „Das war ein stolzes Schiff“, sagt Gutiérrez, „bestimmt dreißig Meter lang, mit Dach und Bar und allem.“

Die panamerikanische Straße hat ihm den Garaus gemacht. Die Lastwagen waren schneller und billiger. Der Schiffsverkehr wurde eingestellt. Seither kommen von Managua täglich vier Busse ins Dorf. Nur nach „Mitch“ war der Verkehr für ein paar Tage unterbrochen.

„Das Schiff müßte natürlich schneller sein und billiger als der Bus“, sagt Salvador Reyes, der vierzehn Jahre lang als Steuermann auf der Verbindung San Francisco Libre – Managua gefahren ist. „Damals brauchten wir drei Stunden, bei schlechtem Wetter vier.“ Der Bus macht dasselbe in zweieinhalb. „Aber heute gibt es stärkere Motoren.“

Für stärkere Motoren reichte das Geld der GTZ jedoch nicht. Seine beiden Zwölf- PS-Motoren würden die Strecke in „bis zu vier Stunden Fahrtzeit“ schaffen, kalkuliert Striegel. Und man müßte frühmorgens los, um vor dem Aufkommen der Winde am anderen Ufer zu sein. Denn wenn es windet, gibt es in der Mitte des Sees hohe Wellen. Steuermann Reyes kann noch heute erzählen, wie das damals war, als der Wind aufkam. Wild fuchtelt er mit den Armen, um zu zeigen, wie das dreißig Meter lange Schiff schlingerte und Wellen auf das Ladedeck schlugen. „Auf dem Wasser da draußen, da wohnt der Schrecken“, sagt er.

Peter Pfaumann, GTZ-Chef in Managua, weiß nicht, daß das Schiff mehr als einen Monat nach „Mitch“ noch immer auf einem improvisierten Trockendock an der südlichen Ausfallstraße von Managua liegt. Rot leuchten die neuen Antriebsschrauben der chinesischen Motoren über dem Grün der Wiese. Sie wirken etwas klein für den plumpen Schiffskörper. Der wird gerade in Blau und Weiß, den Farben der Flagge Nicaraguas, gestrichen. Andere Organisationen haben Reis, Mais und Bohnen längst mit dem Laster zu den Flutopfern nach San Francisco Libre geschafft.

„Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat ein Notprogramm von 1,7 Millionen Mark für Nicaragua aufgelegt“, sagt Pfaumann. Unter den Antragstellern sei auch Ochomoro gewesen. Und weil „wir uns, was das Inhaltliche angeht, auf die NGOs verlassen müssen“, habe man 3.200 Dollar als Vorschuß für 45 Fahrten mit Hilfsgütern ins von der Umwelt abgeschnittene San Francisco Libre herausgerückt.

„Die Abrechnung steht noch aus“, sagt der GTZ-Mann. Und wenn die nicht sauber sei, müsse das Geld eben zurückerstattet werden. So einfach sei das. Und so kann es kommen, daß der Traum vom eigenen Schiff auf dem Managua-See noch einmal platzt.