Die neue Hauptstadt der Bahnhöfe

Neben dem zentralen Lehrter Bahnhof plant die Deutsche Bahn ein weiteres Mammutprojekt: Der Schöneberger Bahnhof Papestraße soll zum zweitgrößten der Stadt ausgebaut werden. Die Bahn setzt auf Autofahrer als neue Kundschaft, das Konzept ist umstritten  ■ Von Jutta Wagemann

Zoo, Wannsee, Hauptbahnhof und Lichtenberg – das waren jahrzehntelang die Ziele der Reisenden, die mit dem Zug nach West- oder Ost-Berlin kamen. Inzwischen hält der ICE auch in Spandau, der Hauptbahnhof heißt wieder Ostbahnhof. In fünf Jahren jedoch wird sich die Bahnhofs-Landschaft in Berlin noch einmal komplett verändert haben: Neben den genannten Bahnhöfen werden auch die Stationen Gesundbrunnen, Papestraße, Flughafen Schönefeld und Lehrter Zentralbahnhof zu Fernbahnhöfen ausgebaut. Mit den Regionalbahnhöfen Friedrichstraße, Alexanderplatz, Potsdamer Platz, Jungfernheide, Charlottenburg und Ostkreuz will die Deutsche Bahn (DB) die Stadt als Zugverkehrsknotenpunkt vervollständigen. Deshalb wird in der Stadt an fast allen Bahnhöfen gebuddelt, für etliche Strecken werden Pläne erstellt oder laufen die rechtlichen Verfahren.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht der Lehrter Zentralbahnhof, das gläsernde Prachtstück im Spreebogen, das vom Jahr 2003 an täglich 240.000 Fahrgäste verkraften soll. Tausende Besucher bestaunen täglich die Computersimulation in der Infobox am Potsdamer Platz.

Still und von der Öffentlichkeit viel weniger beachtet läuft die Planung für den Schöneberger Bahnhof Papestraße im Süden Berlins – künftig der zweitgrößte Bahnhof der Stadt. Noch in diesem Monat soll der endgültige Beschluß für den Bau fallen, im Frühjahr werden die Bauarbeiten beginnen. Vom Jahr 2003 an wird hier der erste Halt in Berlin für Züge aus dem Südosten Deutschlands sein.

Die ursprünglich hochfliegenden Pläne der Bahn ließen sich allerdings nicht verwirklichen. Die DB wollte ein großes Bahnhofsgebäude mit Geschäften und Hotels errichten und hatte mit dem Bau das Frankfurter Planungsbüro JSK beauftragt – ohne einen Architektenwettbewerb auszuschreiben. Massive Proteste der Grünen, des Bezirks Schöneberg und von Bürgerinitiativen waren die Folge. Als sich schließlich auch keine Investoren für das Großprojekt fanden, schwenkte die Bahn um. Der Bahnhof Papestraße wird jetzt eine Nummer kleiner. Hotels und Geschäfte wird man vergeblich suchen. Verärgert hat die Bahn für die vergebliche Investorensuche schon die Ursache ausgemacht: Nachdem der Lehrter Bahnhof und nicht die Papestraße als Endhaltepunkt für den Transrapid – wenn er denn gebaut wird – festgelegt worden sei, sei der Bahnhof Papestraße für Investoren uninteressant geworden, erläuterte DB- Projektleiter Ulrich Langner.

Für den verkleinerten Bahnhof wurde nachträglich ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben: Die Gestaltung der Dachkonstruktion, der Fassade und des Bahnhofsvorplatzes ist noch offen. Mitte Januar wird entschieden.

An der Papestraße plant die Bahn jetzt ein Kreuz aus neun Gleisen in Nord-Süd-Richtung für Fernverkehr und S-Bahn und vier Gleisen darüber für die sogenannte „Ringbahn“, davon ebenfalls zwei für die S-Bahn. Eine 200 Meter lange Halle aus Stahl und Glas soll die „Ringbahnbrücke“ überwölben. 640 Millionen Mark soll das Gesamtprojekt kosten. Für Fußgänger wird der Zugang zu den Fernbahngleisen extrem umständlich. Weil sich das Land wegen der Kosten weigerte, einen neuen Fußgängerzugang zu bauen, muß man künftig erst den bisherigen Fußgängertunnel durchqueren, dann per Rolltreppe auf die Ringbahnbrücke fahren und von dort wieder runter zu den Fernbahngleisen.

Von dem alten, denkmalgeschützten Bahnhofshäuschen von 1901 wird vermutlich nichts übrigbleiben. Obwohl der Bezirk Schöneberg und das Landesdenkmalamt protestiert hatten, will die Bahn das Häuschen mit den Treppengiebeln abreißen. „Wir sind der Meinung, daß man es erhalten könnte“, meint der Leiter des Schöneberger Stadtplanungsamtes, Siegmund Kroll. Die endgültige Entscheidung wird beim Planfeststellungsbeschluß fallen, der für Ende des Monats erwartet wird.

Dominiert wird der Bahnhof Papestraße künftig von einem die Gleise überspannenden Parkhaus mit 2.450 Stellplätzen auf drei Ebenen. Direkt neben der Stadtautobahn A 100 gelegen, soll der Bahnhof nach Willen der DB nämlich vor allem für eine Klientel attraktiv sein: Autofahrer. Unverblümt und ganz offiziell bezeichnet die DB die Station als „Autofahrerbahnhof“. Autofahrer aus dem Süden der Stadt und dem Umland sollen am Bahnhof Papestraße auf den Zug oder die S-Bahn umsteigen, ist der Gedanke der Deutschen Bahn. „Wenn man Kunden haben will, muß man auf Autofahrer setzen“, meint Langner zu wissen.

Unklar ist allerdings noch die Höhe der Parkgebühren. Allein um die Baukosten abzudecken, müßte jeder Stellplatz sechs Mark in der Stunde kosten, hat Norbert Rheinlaender von der Bürgerinitiative Westtangente ausgerechnet. Die BI hatte mehrere Runde Tische zum Bahnhof Papestraße initiiert.

Während jedoch die Berliner CDU-Fraktion in den Plänen der Bahn ein „traumhaftes Eisenbahnkonzept“ sieht, wie ihr verkehrspolitischer Sprecher Fritz Niedergesäß meint, überwiegt beim Koalitionspartner SPD, vor allem aber bei PDS und Bündnisgrünen die Kritik. Er halte es für wesentlich sinnvoller, sagt Christian Gaebler von der SPD, mehrere Haltepunkte für Regionalbahnen aus dem Süden der Stadt einzurichten, als Autofahrer bis zur Papestraße zu locken. Auch die Grünen gehen davon aus, daß der neue Bahnhof zu mehr Autoverkehr führen wird.

Umstritten war auch das Planungsverfahren zum Bahnhof. Zwar hatte das Eisenbahnbundesamt als zuständige Behörde die Pläne für alle neuen Bahnhöfe Berlins ordnungsgemäß öffentlich ausgelegt. Über das konkrete Planfeststellungsverfahren für den Bahnhof Papestraße wurden jedoch nur die betroffenen Anwohner informiert, eine Auslegung gab es nicht. Das ist zwar legal, empört jedoch Opposition wie Bürgerinitiative gleichermaßen. „Eine echte Bürgerbeteiligung hat nicht stattgefunden“, kritisiert Rheinlaender von der Westtangenten-BI. Jutta Matuschek von der PDS bemängelt, daß das Abgeordnetenhaus in die Planung überhaupt nicht einbezogen worden sei. Grüne, PDS und die BI fordern daher ein neues Planfeststellungsverfahren.

Sie kritisieren auch die veralteten Zahlen, mit denen die Bahn rechne. Die Deutsche Bahn geht noch von 200.000 Fahrgästen täglich aus. Das hält sogar der Berliner Fahrgastverband Igeb für zu hoch gegriffen. Denn die Bevölkerung Berlins wird jedes Jahr kleiner, allein von 1997 bis 1998 verlor die Stadt 36.000 Einwohner. Deshalb sei auch die Zahl der Parkplätze viel zu hoch. Nach Ansicht der CDU dagegen, die die Bahn in jeder Hinsicht unterstützt, liegt der „Autofahrer-Bahnhof“ genau auf Linie der rot-grünen Bundespolitik. „Mit Ihrer familienfreundlichen Politik“, sagte Fritz Niedergesäß kürzlich zu den Grünen, „müßte es jetzt doch zu einer Bevölkerungsexplosion kommen. Da brauchen wir die Stellplätze.“