Wer hat uns verraten?

■ Eine von den Bündnisgrünen geplante Tafel zum Gedenken an den Spartakus-Aufstand sorgt in Kreuzberg für Aufregung bei der SPD

Manche Wunden verheilen nie. Auch noch nach 80 Jahren ist die Revolution von 1918/19 ein Streitpunkt zwischen den Parteien in Berlin. Eigentlich geht es nur um eine Tafel in einem Finanzamt – in Wirklichkeit aber wieder um die alten Fronten.

In Kreuzberg, regiert von einem bündnisgrünen Bürgermeister, hatten die Alternativen die Idee, eine Gedenktafel im Finanzamt des Bezirks aufzustellen, das an ein schlimmes Ereignis während der Revolution erinnert: ein Blutbad im Zuge des sogenannten Spartakus-Aufstands im Januar 1919.

Der Aufstand war ausgebrochen, nachdem eine erste Welle der Revolution im November 1918 die Monarchie beseitigt hatte. Unter Friedrich Ebert (SPD) bildete sich eine provisorische Regierung, der „Rat der Volksbeauftragten“. Zwar war er legitimiert durch Arbeiter- und Soldaten-Räte. Dennoch formierte sich gegen ihn eine Opposition.

Im Januar-Aufstand unter der Führung der zum Jahreswechsel gegründeten KPD mit ihren Vorsitzenden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg kämpften Arbeiter und Soldaten gegen den Rat der Volksbeauftragten. Gustav Noske (SPD), im Rat verantwortlich für das Heer, ließ die Rebellion blutig niederschlagen.

Im Hof des heutigen Finanzamts von Kreuzberg, einem großen grauen Gebäude, das aussieht wie eine Ritterburg, wurden am 11. Januar 1919 wahrscheinlich sieben Aufständische erschossen – daran soll die Tafel nun erinnern. Wenn da nicht die alten Fronten wären.

Umstritten ist vor allem der letzte Satz des geplanten Textes: „Die politische Verantwortung für die Aktion lag bei dem Volksbeauftragten Gustav Noske (SPD), der seit dem 8. Januar 1919 den Oberfehl über die Truppen in und um Berlin trug.“ Diese Passage hatte der Leiter des örtlichen Heimatmuseums, Martin Düspohl (parteilos), vorgeschlagen. Düspohl findet dafür aber nur bei den Bündnisgrünen einhellig Unterstützung.

Die SPD stört Duspöhl zufolge in erster Linie die Erwähnung Noskes, da dessen Partei „möglicherweise mit der heutigen identifiziert werden kann“.

Nach mehr als einem Jahr Diskussion im Bezirksparlament und im Kulturausschuß sind die jungen, alten Fronten jedoch so verhärtet, daß man nun Hilfe von außen geholt hat. Ein Historiker soll bei einem Vortrag heute abend vor allem die Verantwortung Noskes in jenen Tagen beleuchten. Erst danach werde man versuchen, erneut einen Tafeltext zu finden: „Allein kommen wir nicht weiter“, meint Duspöhl resigniert.

Eine Lösung könnte eine „Foto- Text-Dokumentationstafel“ sein, die Museumsleiter Duspöhl nun an dieser Stelle vorschlägt. Darin könnte man ausführlicher die Umstände und die Verantwortung Noskes beleuchten. Außerdem hätten die Besucher des Finanzamtes ja auch Zeit, sich das Ganze durchzulesen.

Ob man sich im Anschluß an die Diskussion heute abend jedoch darauf einigen könne, das sei in dieser „heiklen Sache“ eher fraglich, meint Duspöhl: „Ich erwarte es eigentlich nicht.“ Das Problem sei nur: „Wenn wir uns an diesem Abend nicht einigen können, weiß ich auch nicht weiter.“ Philipp Gessler