Rebellen zünden Sierra Leones Hauptstadt an

■ In ihrem Rückzugskampf zerstört die RUF-Guerilla das ihr verhaßte Freetown

Berlin (taz) – „Wenn wir zurückkehren, machen wir die Stadt dem Erdboden gleich“, hatten die Rebellen der „Revolutionären Vereinigten Front“ (RUF) im Februar 1998 gedroht, als die von Nigeria geführte westafrikanische Eingreiftruppe Ecomog das von der RUF gestützte Militärregime in Sierra Leone stürzte und die RUF aus der Hauptstadt Freetown vertrieb. Am vergangenen Sonntag, als die RUF nach ihrem erneuten Einmarsch in Freetown wieder unter Beschuß geriet, bekräftigte RUF-Kommandeur Sam Bockarie: „Bevor wir Freetown verlassen, werden wir alles anzünden.“ Nun scheinen die Rebellen ihre Drohung wahr zu machen.

Freetown brennt. Die Universität Forah Bay – die älteste Westafrikas, gegründet 1827 – soll nach Berichten von Augenzeugen ebenso ein Opfer der Flammen geworden sein wie das größte Krankenhaus, das Rathaus, die Zentrale der Telefongesellschaft und die Hafenanlagen. Ganze Straßenzüge voll mit Holzbauten im Kolonialstil sind verbrannt. Berichterstatter, die Freetown gestern in einem Ecomog-Hubschrauber überflogen, berichteten von dichten Rauchwolken über weiten Teilen der Stadt. Aus dem Zentrum steige eine hohe Rauchsäule auf.

Auf den Straßen herrscht Krieg. Die nigerianischen Ecomog-Soldaten kämpfen sich von Haus zu Haus durch die Stadt, während die zurückweichenden Rebellen versuchen, bei der Zivilbevölkerung Schutz zu suchen. In Friedenszeiten leben in Freetown und Umgebung 1,3 Millionen der 4,6 Millionen Einwohner Sierra Leones, in Kriegszeiten sind es Hunderttausende mehr. Seit dem RUF-Einmarsch vor einer Woche und den Ecomog-Angriffen haben sie weder Wasser noch Strom, und die Lebensmittelvorräte gehen rapide zur Neige.

Dies ist der Endkampf um Westafrikas älteste Kolonialstadt, die 1792 von britischen Missionaren als „Freie Stadt“ freigelassener schwarzer Sklaven gegründet wurde. Die RUF-Rebellen erringen mit der Zerstörung Freetowns einen symbolischen Sieg, auch wenn sie die Schlacht um die Stadt verlieren sollten. Die Rebellion ist nämlich jenseits aller regionalen Machtspiele und Rivalitäten um Diamantenminen vor allem Ausdruck der tiefen Spaltung Sierra Leones: zwischen den Institutionen in Freetown, die Ausdruck eines mondänen Selbstverständnisses der Nachkommen schwarzer Immigranten aus Großbritannien und den USA sind, und den Bewohnern des vernachlässigten Hinterlandes. Diese Spaltung hat in den letzten zehn Jahren ebenso wie im benachbarten Liberia zu einem mit immenser Brutalität geführten Krieg geführt.

Als die RUF 1989 als Buschguerilla gegründet wurde, erklärte sie ihren Kampf damit, daß Sierra Leone von „kriminellen Politikern und militärischen Abenteurern“ regiert werde, „die seit der Unabhängigkeit jeden Tag bewiesen haben, daß sie unfähig, unverantwortlich und korrupt sind“. Die politische Klasse des Landes sei „ein organisierter Verbrecherhaufen“.

In weiteren Erklärungen wurde seitdem betont, die Bewegung sei tief religiös und den Idealen eines friedlichen Landlebens verpflichtet. Die Bauern sollten nicht mehr „ausgeplündert“ werden, „um die Gier und die Launen der Freetown-Elite zu nähren“, hieß es. „Nie mehr soll das Land auf Holzhacker und Wasserträger für das städtische Freetown reduziert werden. Das Muster von Ausbeutung, Erniedrigung und Selbstverleugnung ist vorbei.“

Der Haß auf die Hauptstadt als Sündenpfuhl und Diebesnest ist ein prägendes Element der RUF- Rebellion wie auch anderer afrikanischer Buschrebellionen. Gerade daher haben Westafrikas Regierungen soviel Angst davor, daß ein RUF-Erfolg Nachahmer in ihren Ländern ermuntern könnte.

Natürlich ist die RUF-Selbstdarstellung auch Schönfärberei, aber sie hat einen realen Kern. Auswärtige Beobachter wie der britische Ethnologe David Keen haben nachgezeichnet, wie Sierra Leones Zivilregierungen in den 80er Jahren mit fehlgeleiteten Wirtschaftsreformen das Gesundheits- und Bildungswesen ruinierten. Dadurch sank die Lebenserwartung in einigen Landesteilen auf 21 Jahre. Dies begünstigte nicht nur den Ausbruch einer bewaffneten Rebellion, sondern auch einen allgemeinen gesellschaftlichen Zerfall. So ist die RUF heute eine von mehreren bewaffneten Milizen in Sierra Leone, und alle terrorisieren die Bewohner der von ihnen kontrollierten Gebiete.

Die Folge davon: Ein Drittel der Landesbevölkerung ist heute inner- oder außerhalb Sierra Leones auf der Flucht. Bis jetzt ist keine politische Kraft in Sicht, die das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat von Sierra Leone so weit wiederherstellen könnte, daß der Krieg zu Ende geht. Eher sinken derzeit alle Kriegsparteien auf das gleiche Niveau rivalisierender Banden herab. Dominic Johnson Kommentar Seite 12