Vorsichtiger Beifall für Santer in Straßburg

Das Europaparlament debattiert über zwei Mißtrauensanträge gegen die EU-Kommission. Deren Präsident will mit einem Acht-Punkte-Plan die Gemüter der ungehaltenen Abgeordneten beruhigen  ■ Aus Straßburg Daniela Weingärtner

Unsanft sind diejenigen ins neue Jahr gerutscht, die von Berufs wegen mit Europapolitik zu tun haben. Eine schnelle Umarmung, Neujahrswünsche – dann hatte das Alltagsgeschäft sie alle wieder. Eine „Atombombe“ nannte der Vorsitzende der Liberalen im Europäischen Parlament, Patrick Cox, was Montag abend in Straßburg debattiert wurde und Donnerstag abgestimmt werden soll: das Mißtrauensvotum gegen die Brüsseler EU-Kommission. Sollte es durchkommen, würde damit die ganze Kommission weggefegt. Hintergrund ist der wachsende Unmut der Europaabgeordneten über Mißmanagement, Korruption und Vetternwirtschaft bei der Kommission.

Die Stimmung unter den Parlamentariern in Straßburg war am Montag abend so gedrückt, als sei schon alles gelaufen. Dabei sind die Chancen der Kommission, mit einem blauen Auge davonzukommen, eher gestiegen.

Denn jetzt stehen zwei Mißtrauensanträge zur Abstimmung. Damit wird es noch unwahrscheinlicher, daß einer die nötige Zweidrittelmehrheit erreicht. Ursprünglich hatte die Vorsitzende der Europäischen Sozialisten, Pauline Green, ihren Antrag nur eingebracht, um der Kommission indirekt das Vertrauen auszusprechen. Ihrer Logik wollten allerdings nicht alle Fraktionskollegen folgen. Während der deutsche Sozialdemokrat Klaus Hänsch den Antrag gar nicht unterschrieb, zogen die französischen Sozialisten ihre Unterschrift zurück. So blieben nur 64 Standhafte übrig.

Dafür gibt es nun einen Konkurrenzantrag, den „echten“ Mißtrauensantrag, den 69 Abgeordnete aller Länder – mit Ausnahme von Luxemburg – unterzeichnet haben. Im Gegensatz zu Green, die ihren Antrag 17 Minuten begründen durfte, bekam Hervé Fabre- Aubrespy nur drei Minuten zugestanden, wie er verschnupft monierte. Grüne, Fraktionslose, Unabhängige, aber auch Christdemokraten und ein einsamer belgischer Sozialdemokrat wollen die Kommission wirklich zum Teufel schicken. Während die einen der Kommission nur ihre Instrumente demonstrieren wollen, gehen die anderen aufs Ganze und fürchten sich gleichzeitig ein bißchen vor den Folgen ihrer Radikalität.

Jacques Santer, der Kommissionspräsident, schien unempfänglich für die Mischung aus Wut und Sorge, die das Plenum umtreibt. Er breitete erst einmal seelenruhig die Erfolge seiner bisherigen Amtszeit aus: den geglückten Start des Euro, den europäischen Beschäftigungspakt und die eingeleitete Osterweiterung. Gerade als die Zuhörer dachten, Santer würde es wirklich bei der Hymne auf seine eigenen Leistungen bewenden lassen, kam doch noch die Überleitung auf das Thema des Tages: die Korruptionsaffären innerhalb der Kommission. Aber auch hier, wie schon am Morgen in Bonn, übte er sich in der Kunst des positiven Denkens: „Die Vorfälle im Zusammenhang mit der Haushaltsentlastung zeigen, daß meine Bemühungen um diesen in der Vergangenheit zu sehr vernachlässigten Aspekt richtig waren.“

Immerhin baute Santer am Ende seiner Rede den Kritikern im Plenum eine goldene Brücke, über die viele gerne gehen werden: Er kündigte einen Acht-Punkte-Plan an, der die Brüsseler Behörde reformieren soll. Unter anderem soll ein strenger Verhaltenskodex dafür sorgen, daß sich die Kommissare und ihre Mitarbeiter wieder mehr an ethische Grundsätze gebunden fühlen. Nebentätigkeiten sollen verboten, Stellen vorrangig intern besetzt werden. Für Bewerber um Führungsposten soll zukünftig eine Probezeit gelten. Bis die neuen Regeln in Kraft sind, will Santer keinen externen Ernennungen zustimmen. Bei der Betrugsbekämpfung will er den Vorschlag von Bundeskanzler Gerhard Schröder aufgreifen und ein Gremium aus Mitgliedern des Parlaments, des Rates und der Kommission zusammenstellen.

Die meisten Parlamentarier quittierten Santers Ankündigungen mit vorsichtigem Beifall. Aber sie wissen auch, daß gute Vorsätze rasch wieder zwischen Gruppeninteressen zerrieben werden. Der sozialdemokratische Abgeordnete Willi Görlach bediente sich bei den deutschen Klassikern, um seine Skepsis auszudrücken, und sprach damit, dem Beifall nach zu schließen, den meisten aus der Seele: „Mit Schiller möchte ich sagen: Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt. Allerdings gibt es keinen weiteren Weg, der Euer Säumen entschuldigt. Warum, Herr Santer, sind Ihre acht Punkte nicht im Programm der Kommission für 1999 enthalten? Wäre das heute alles auch gesagt worden, wenn wir die Auseinandersetzung zwischen Parlament und Kommission nicht gehabt hätten?“ sagte Görlach und fügte hinzu: „Ich will von Ihnen nur hören, daß Sie nicht wieder so selbstgerecht sagen: Solange keine zwei Drittel erreicht sind, gibt es keinen Grund, etwas zu ändern... Das könnte die Leute auf die Idee bringen, wenigstens die qualifizierte Mehrheit herzustellen.“

Auch das kurze Statement der EU-Kommissarin Edith Cresson könnte die Leute auf Ideen bringen. Mit unbewegter Miene schob sie Fehlentscheidungen in die Verantwortung ihres Vorgängers ab. Bislang habe sie noch immer Unterstützung vom Parlament erfahren und so auch dem Rat einiges abhandeln können.

Die meisten Abgeordneten wollen bis zur letzten Minute offenhalten, wie sie sich am Donnerstag entscheiden werden. Die Vorsitzende des Haushaltsausschusses, die CDU-Abgeordnete Diemut Theatro, hat mehrere Punkte genannt, die die Kommission bis Donnerstag aus dem Weg räumen soll: Einblick in die Ermittlungen der internen Kontrollbehörde und Garantien, daß die Dossiers wirklich bei den Gerichten landen. Auf diese Forderungen hat die Kommission bislang äußerst zurückhaltend reagiert. Es bleibt also spannend bis zur Abstimmung.