Irans bedrohte Literaten rufen um Hilfe

■ Deutsche Schriftsteller und Medien leihen ihren Kollegen ihre Stimmen. Teheraner Behörden melden erneut die Festnahme von Mordverdächtigen

Berlin (taz) – Notruf aus Teheran: Binnen drei Wochen wurden in der Islamischen Republik Ende letzten Jahres fünf Dissidenten ermordet, Hunderte fürchten um ihr Leben. Seit dem 25. August vergangenen Jahres ist der Gründer der „Vereinigung für Demokratie im Iran“, Pirus Davani, spurlos verschwunden.

Um auf das Schicksal der bedrohten iranischen Literaten und Intellektuellen aufmerksam zu machen, veröffentlichen dieser Tage verschiedene deutsche Medien Auszüge ihrer Werke. Die nebenstehenden Verse stammen aus dem Gedicht „Buchstaben und Punkte“ von Ali Salehi. Der Mittvierziger gehört zum Kreis der sozialkritischen Dichter des Landes. Zudem veröffentlichte er Romane – zum Teil unter Pseudonym. Um den iranischen Schriftstellern Gehör zu verschaffen, werden heute um 19 Uhr im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ in Deutschland lebende Literaten Texte der Bedrohten lesen. Angesagt haben sich der Vorsitzende des deutschen PEN, Christoph Hein, die Schriftsteller F.C. Delius, Klaus Schlesinger, Pieke Biermann sowie der in Deutschland lebende Iraner Faradsch Sarkuhi.

Im Iran kursieren angeblich immer neue Todeslisten, die Zahl der darauf aufgelisteten Namen reicht inzwischen bis zu 180. Verfasser der Listen sind angeblich hohe Mitarbeiter der Staatsverwaltung, vielleicht sogar Mitglieder der Staatsführung selbst. Gestern meldete das iranische Fernsehen die Festnahme von zehn Personen im Zusammenhang mit den Morden. Um wen es sich handelt, wurde nicht bekannt. Anschließend habe sich ein Team von Sonderermittlern mit Staatspräsident Mohammad Chatami getroffen, um ihn über die jüngsten Ergebnisse zu unterrichten. Dieser ermahnte die Ermittler, sich nicht von Propaganda beeinflussen zu lassen und ihre Arbeit „ernsthaft und entschlossen“ fortzuführen.

Bereits vor einer Woche hatte das für den Geheimdienst zuständige iranische Informationsministerium mitgeteilt, es habe wegen der Intellektuellenmorde Festnahmen gegeben. Die Überraschung: Alle Inhaftierten seien „unverantwortliche Mitarbeiter“ des eigenen Hauses. Zuvor hatte es noch geheißen, die Mörder seien wahrscheinlich „ausländische Agenten“.

Vieles spricht dafür, daß die Schriftsteller Opfer des inneriranischen Machtkampfes zwischen Konservativen um den Religiösen Führer Ali Chamenei und Reformern um Präsident Mohammad Chatami sind. Erstere – so die Vermutung – lassen die Dissidenten ermorden, um den Präsidenten zu diskreditieren. Schließlich war der bei den Präsidentschaftswahlen 1997 als Hoffnungsträger der Intellektuellen und Anwalt der Jugend und Frauen angetreten – und völlig überraschend gewählt worden. Seither bemühen sich Chatamis Gegner, seine Arbeit zu sabotieren.

Beobachter konstatieren in den letzten Monaten eine zunehmende Brutalisierung ihrer Attacken. Zu den Opfern könnten auch die zuletzt ermordeten fünf Dissidenten gehören. Anhänger von Präsident Chatami fordern inzwischen den Rücktritt von Informationsminister Ghorban Ali Dori Nadschafabadi, einen der wenigen Konservativen in Chatamis Regierung. In der Teheraner Universität versammelten sich gestern laut Augenzeugen Hunderte Studenten und warnten vor einem Staatsstreich gegen Präsident Chatami. Thomas Dreger

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