Wut und Wirklichkeit

Glücklicherweise steckt nicht hinter jedem Label ein Männerkopf: Flittchen Records tagt im Molotow  ■ Von Felix Bayer

In der Popkultur herrscht ein ähnlich ausgewogenes Geschlechterverhältnis wie in der Kfz-Meisterinnung und in der Astronautenszene“, schreibt Christiane Rösinger mit absichtsvoll grober Ironie in den Linernotes zu Stolz & Vorurteil, einem Sampler, der im Untertitel seinen Inhalt verrät: „A Compilation of Female Gesang, Gitarren und Elektronik“. Zusammengestellt wurde die Platte von der Berliner Musikjournalistin Susanne Messmer sowie von Almut Klotz und eben Christiane Rösinger, die im November ihre gemeinsame Band, die Lassie Singers, sterben ließen und statt dessen das Indie-Label Flittchen Records gründeten, auf dem wiederum Stolz und Vorurteil erschienen ist.

Auch im Independent-Bereich des Musikgeschäfts ist der Anteil von Bands, in denen Frauen den Ton angeben, ebenso gering, wie auch in Labels selten Frauen leitende Positionen einnehmen. Susanne Messmer weist darauf hin, daß nur zwei Prozent der bei der GEMA angemeldeten KomponistInnen und TexterInnen Frauen sind. Und wenn ein Musikjournalist – meistens ja auch ein Mann – mit einem Label in Kontakt tritt, spricht er oft mit einer Promoterin, doch schon der „Head Of Promotion“ ist meist ein Männerkopf, von der Geschäftsführung ganz zu schweigen.

Die Wut über diese Tatsachen ist nicht neu, und Maßnahmen dagegen sind im Zuge des Theorie-Imports aus den USA auch in Deutschland viel diskutiert worden. Noch im Sommer letzten Jahres erschien mit Lips, Tits, Hits, Power? im Folio-Verlag ein Reader über „Popkultur und Feminismus“, der etliche Schlüsseltexte zur und aus der Riot-Grrl-Bewegung in deutscher Sprache zugänglich machte. Doch das amerikanische Vorbild schien hierzulande mehr zur Gründung von Symposien als zur Gründung von Bands geführt zu haben. Womit nicht die Bedeutung heruntergespielt werden soll, die die Besetzung diskursiver Positionen hat. Gerade der direkte Zusammenhang zwischen der Wut über ungerechte Verhältnisse und dem Einleiten von Aktionen zu deren Überwindung machte aber doch wohl einen Großteil der Faszination für die Riot Grrls aus.

„Nur wenige finden, daß es cool klingen sollte, sich Feministin zu nennen“, stellte Susanne Messmer in einem Artikel zur Veröffentlichungsparty von Lips, Tits, Hips, Power? fest, doch die Musikerinnen von Britta und Parole Trixi gehören für sie dazu. Die spielen heute mit vier anderen Acts auf einem Festival im Molotow. Britta ist die neue Band von Christiane Rösinger, die sich den lakonischen Lassie-Singers-Tonfall bewahrt hat, aber jetzt ohne den Zwang zum Harmoniegesang von ihren Erfahrungen mit anderen Großstadtmenschen erzählt.

Für die Hamburgerinnen von TGV darf Feminismus nicht nur cool klingen, sondern auch rocken und einen Glamour ausstrahlen, der niemals mattgrau ist. Ebenfalls aus Hamburg kommen Die Patinnen, die für die „Female Elektronik“ auf Stolz und Vorurteil stehen und sich als streitbares DJ-Duo einen Namen gemacht haben.

Bei Katrin Achinger und Miyax kommen zwei Generationen von musikmachenden Frauen zusammen. Während Achinger eher an das poetisch individualisierte Künstlerinnenmodell einer Patti Smith anknüpft, sind Miyax ganz direkt von amerikanischen Bands wie Sleater-Kinney beeinflußt, deren Wurzeln in der Riot-Grrl-Szene liegen.

Am deutlichsten repräsentiert aber Sandra Grether den Übergang vom Drüber-Schreiben zum Selber-Machen: In Lips, Tits, Hips, Power? vollzieht sie in literarischer Form ihren Abschied vom Musikjournalismus (für Spex) nach, heute singt sie bei Parole Trixi eine Ehrenrettung für Lisa Simpson und andere Ermutigungen – zur Wut, wie vielleicht auch zur daraus folgenden Praxis.

Do, 14. Januar, 21 Uhr, Molotow