Henning Harnisch
: Schütteln und Backen

■ Ein geglückter Freiwurf ist definitiv nicht Poesie in Bewegung

It don't mean a thing, if it ain't got the swing (Duke Ellington)

Wahnsinn hat einen neuen Namen: Dr. Tom Amberry. Dr.Tom, wie ihn seine Freunde rufen, kann sich seit dem 15. November 1993 weltbester Freiwerfer im Basketball nennen. Nach zwölf Stunden und zweitausendsiebenhundertundfünfzig (!) verwandelten Freiwürfen in Folge mußte der damals 71jährige (!) Dr.Tom abbrechen, weil der Hausmeister, Dr. Kittel, die Sporthalle abschließen und nach Hause gehen wollte. Immerhin zehn Augenzeugen bestätigten die Leistung des pensionierten Arztes aus Südkalifornien, der anderthalb Jahre für diesen Augenblick trainiert hatte. Mit Basketball hat das wenig zu tun.

Basketball ist Poesie in Bewegung, Spontaneität, Improvisation und sooo viel Style. Basketball ist Dr. Dunkenstein, das Kangaroo Kid, der Helicopter oder Lloyd Free, der sich offiziell in World B. Free umtaufen ließ und der Prinz der mittleren Lüfte ist. Basketball ist Darryl „Chocolate Thunder“ Dawkins, der ganze Korbanlagen zertrümmerte, das zum Stilmittel erklärte und seinen Dunkings Namen gab wie „Chocolate Thundering- Building-Rumbling-Glass-Breaking-Rim-Shaking-High-Flying- Robinzine-Crying-Jam-I-Am Dunk“. Basketball ist auch Earl „The Pearl“ Monroe, den die Leute ehrfürchtig „Black Jesus“ tauften. Basketball ist Woody Allen, der seine Filme so dreht, daß er kein Heimspiel der New York Knicks verpaßt. Der sagt, daß Basketball wie Jazz ist, daß der individuelle Style vom smoothen Dr.J genauso unverwechselbar ist wie das Spiel vom Jazzpianisten Thelonious Monk.

Basketball sind Geschichten wie die von Mark Jackson, damals Aufbauspieler von den New York Knicks, der, nachdem sein Team in Philadelphia die Heimmannschaft geputzt hatte, sich mit Eimer und Lappen auf das Spielfeld stellte und vor den gegnerischen Fans den Hallenboden putzte. Oder die von den fünf Marbury-Brüdern aus Coney Island, die, laut Auskunft ihres Vaters, allesamt mit Basketballspermien gezeugt wurden, um irgendwann das große Geld in die Familie zu bringen. Das blieb bei den drei ältesten aus, erst der zweitjüngste, Stephon, schaffte den Sprung aus Coney Island in die NBA und sorgte damit für familiäre Erleichterung.

Und Basketball ist Spike Lee, Filmemacher aus Brooklyn und lebenslanger Knicks-Fan. So steil nach oben seine Karriere als Filmregisseur verlief, so tief ist er im Madison Square Garden gesunken. Den besten Platz im Haus hat er dort mittlerweile, ist mit Jack Nicholson und Woody Allen der bekannteste Basketballfan der USA. Und Basketball ist auch „The Best Seat In The House“, Titel des Buches, das Spike Lee zusammen mit Ralph Wiley im letzten Jahr geschrieben hat. Ein langer Liebesbrief an eine Sportart – fundiert, witzig, klug geschrieben.

Harmonisch ergänzen und überlappen sich Privates und Sportliches, von frühester Kindheit in Brooklyn über die letzte Meisterschaft der Knicks 1973 bis zu einem persönlichen Ausblick. Und irgendwie ist auch die schönste private Anekdote Basketball. Sie ist den Erziehungsmethoden seiner Eltern gewidmet. Mutter Jacqueline, Lehrerin von Beruf, übernahm die Rolle des Bad Cops, der strengen Erzieherin, während Vater Bill, ein bekannter Jazzmusiker, seinen pädagogischen Aufgaben eher lax nachging. Als die vier Lee-Kinder einmal den über seine Musiknoten gebeugten Vater mit der Bemerkung konfrontierten, sie würden jetzt von der Brooklyn Bridge springen, wünschte dieser, leicht abwesend, nur viel Spaß und viel Glück: „Oh yeah, have fun. Go ahead.“

Ob der Film „He Got Game“ von Spike Lee, der in deutscher Version „Spiel des Lebens“ (Fuck den Verleihtitel) heißt und nächste Woche in die Kinos kommt, Basketball ist, überlasse ich Ihnen. Für mich ist das, mit Ausnahme des phantastischen Vorspanns, eine andere Geschichte. Aber wenn Dr.Tom seine sieben Schritte zum Erfolg an der Freiwurflinie predigt, dann hören wir nicht zu. Denn wir spielen Basketball.