Die gedankenlose Regierung

■ Rot-Grün hat kein Konzept für die Energiepolitik. Deshalb wird der Streit um Details von Atomausstieg und Ökosteuer weitergehen

„Ich bin froh“, sagte Anfang der Woche Gunda Röstel, „daß es nun auch für unseren Koalitionspartner leichter wird, bei der Benzinpreiserhöhung deutliche Schritte zu gehen.“ So kommentierte die grüne Parteichefin den Verfall des Rohölpreises auf dem Weltmarkt, der den Sprit im vergangenen Jahr um 12 Pfennig billiger machte. Dieser Satz ist bezeichnend für die Energiepolitik von Rot-Grün. Denn die ist ohne Konzept.

Offenbar hat Röstel verdrängt, worum es bei der Ökosteuer eigentlich geht: Energie soll teurer werden, um zum Sparen anzuregen. Die erste große Energiesparwelle kam nach der Ölkrise 1973, als es den Opec-Staaten für kurze Zeit gelang, das Öl knapp und den Preis hoch zu halten. Der Verfall des Rohölpreises gefährdet das Ziel der Ökosteuer und ist deshalb kein Grund zur Freude – außer daß er das Regieren kurzfristig leichter macht.

Kein Plan. Die Koalition hat nicht durchdacht, wie sie die Energieversorgung umgestalten kann. Das geht schon damit los, daß Atomausstieg und Ökosteuer getrennt debattiert werden. Ein grober Unfug, denn mit der Steuer ließen sich elegant Entschädigungsforderungen der Stromkonzerne vermeiden. Auch muß die Ökosteuer die Weichen stellen für die Versorgung nach der Atomkraft, die immerhin ein Drittel des deutschen Stromes produziert. Der Dauerstreit über Details von Ökosteuer oder Atomausstieg ist nur Folge des fehlenden Konzepts. Auch die Aussprache im gestrigen Koalitionsausschuß wird den Konflikt deshalb nicht beenden.

Statt Gestaltung nur spontane Festlegungen des Pragmatikers Gerhard Schröder: Sechs Pfennig aufs Benzin, gut 20 Jahre bis zum Ausstieg, keine Entschädigung. Nicht daß Rot-Grün keine Vision hätte. Das Vorhaben, die 43jährige Geschichte der Atomenergie zu beenden, hat wahrlich visionäre Kraft. Dieses pragmatisch angehen zu wollen, ist kein modernes Politikmanagement, sondern schlicht gedankenlos.

So gedankenlos wie der Vorstoß Oskar Lafontaines, das Förderprogramm für Wind und Biogas in Höhe von 300 Millionen Mark aus dem Haushaltsentwurf zu streichen. Das würde die Ökosteuer pervertieren. Denn mit dem Förderprogramm soll nur das Geld an die Betreiber erneuerbarer Energieträger zurückgegeben werden, das ihnen mit der Ökosteuer abgenommen wurde. Normalerweise müßten umweltfreundliche Energien von einer Ökosteuer ausgenommen werden. Weil das aber juristisch heikel ist, einigte sich die Koalition auf das Förderprogramm als Kompensation. Mit Lafontaines Vorschlag würde die Ökosteuer ein Windrad genauso behandeln wie einen Atommeiler. Hauptsache, das Geld kommt zusammen, um die Lohnnebenkosten wie versprochen zu senken. Da ist auch Lafontaine ganz pragmatisch.

Eine Ökosteuer müßte die verschiedenen Energieträger nach ihrer Umweltverträglichkeit besteuern. Doch davon keine Spur. Das vergleichsweise umweltfreundliche Erdgas wird bereits über die Mineralölsteuer verteuert. Die dreckige Braunkohle und die riskante Atomkraft aber werden vom Fiskus verschont, die Steinkohle gar subventioniert. Eine Ökosteuer müßte diese Unterschiede zumindest kompensieren. Doch sie besteuert alle gleich.

Schon jetzt ist Strom aus einem modernen Gaskraftwerk viel billiger als der aus einem neu gebauten Atommeiler. Macht man die Kilowattstunde Atomstrom durch eine Steuer auf die Kernbrennstäbe um zwei, drei Pfennig teurer, wäre der Strom aus Erdgas trotz Mineralölsteuer so billig, daß es für Konzerne unrentabel wäre, ihre bereits abgeschriebenen Atommeiler weiterzubetreiben. Wenigstens die Aufhebung der Doppelsteuer aufs Gas wäre ein klares Signal an die Stromkonzerne, sich in den Ausstiegsgesprächen kompromißbereit zu zeigen.

Die von den Grünen ins Gespräch gebrachte Steuer auf Kernbrennstäbe wäre also, wenn sie weiterdächten, ein elegantes Mittel zum Atomausstieg. Denn die Aussicht der Konzerne auf Entschädigung wäre deutlich geringer, als wenn man wie geplant per Ausstiegsgesetz die Schließungen verfügt. Begründungen für eine solche Steuer gibt es genug. Schließlich wird auch die Atomenergie indirekt staatlich subventioniert, allein dadurch, daß der Staat das Haftungsrisiko im Falle eines großen Reaktorunfalls übernimmt.

Ein weiteres Kanzlerwort wird der rot-grünen Regierung das Leben noch schwerer machen. Diesmal stammt es allerdings nicht vom pragmatischen, sondern vom ewigen Kanzler. Helmut Kohl hatte angekündigt, bis 2005 den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid um ein Viertel gegenüber 1990 zu verringern. Inzwischen ist Deutschland internationale Verpflichtungen eingegangen. Doch die alte Regierung hat dieses Ziel erst zur Hälfte erreicht – mit freundlicher Unterstützung der maroden Staatsunternehmen der alten DDR, die größtenteils zusammenbrachen und deren schlechte Technik viel Raum zum Sparen ließ. So einfach ist die zweite Hälfte nicht zu haben. Und der Ausstieg aus der Atomenergie wird nicht ohne neue fossile Kraftwerke möglich sein, die das Klima zusätzlich belasten.

Der klimaschonendste Ersatz für die Atommeiler wären Investitionen ins Energiesparen, und da ist wieder die Ökosteuer von zentraler Bedeutung. Doch Bemühungen etwa der Grünen, energiesparendere Kraftwerkstechnik bei der Ökosteuer deutlich zu bevorzugen, wurden von der SPD abgeblockt. Wichtig für den Klimaschutz sind außerdem drastische Maßnahmen im Verkehr. Schon vor vier Jahren hatte der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen erklärt, der Benzinpreis müsse drastisch steigen, wenn das Klimaschutzziel erreicht werden soll. Verkehrsminister Franz Müntefering ist weit davon entfernt, sich um Verkehrsvermeidung zu bemühen. Am Montag lud er zu einem Expertentreffen zum Bundesverkehrswegeplan in seinem Ministerium das Umweltbundesamt gar nicht erst ein.

Diese Zusammenhänge hat ein Großteil der SPD noch nicht kapiert, und den Grünen geraten sie in der Koalition – siehe Röstels Äußerungen – mehr und mehr aus dem Sinn. Ohne ein stimmiges Energiekonzept werden die Probleme größer und die Spannungen in der Koalition steigen. Da wird irgendwann auch ein Koalitionsausschuß nichts mehr nützen. Darüber sollte sich Gerhard Schröder im klaren sein, der den Atomausstieg zur Chefsache erklärte. Der Schritt vom pragmatischen zum gedankenlosen Kanzler ist ganz klein. Matthias Urbach