Vetternwirtschaft und verschwundene Gelder verärgern die Parlamentarier

Berlin (taz) – Seit Monaten muß sich die Europäische Kommission mit Betrugsverdächtigungen, Gerüchten über Begünstigungen und dem Vorwurf schlechter Haushaltsführung auseinandersetzen. Sollte das Europäische Parlament der Kommission heute tatsächlich das Mißtrauen aussprechen, dann vor allem deshalb, weil die Abgeordneten sich durch die Kommission gehindert sehen, diese Vorwürfe aufzuklären. So beschweren sich Mitglieder des parlamentarischen Haushaltskontrollausschusses, daß einzelne Abteilungen der EU-Verwaltung die Arbeit des Ausschusses systematisch behinderten.

Kommissionspräsident Jacques Santer ist über solche Vorwürfe beleidigt. Er glaubt, sein Kollegium sei Opfer der eigenen Politik der Offenheit. Doch die Parlamentarier würden gerne sehr viel mehr wissen, als die Kommission zu offenbaren bereit ist. Es geht insbesondere um Vorgänge, die die beiden sozialistischen Kommissare Edith Cresson und Manuel Marin zu verantworten haben.

Die Französin Cresson, zuständig für das Ressort Wissenschaft, Forschung und Bildung, soll Unregelmäßigkeiten in Abrechnungsfragen gedeckt haben. Ein anderes Ärgernis: Cresson erteilte einem Freund, dem Zahnarzt René Berthelot, den gutdotierten Auftrag, ein Gutachten über den Stand der Aidsforschung zu erstellen. Eine enge Bekanntschaft mit der Kommissarin scheint die einzige Qualifikation des Berufenen zu sein.

Dem Vorwurf miserabler Haushaltsführung sieht sich der Spanier Marin, nunmehr Vizepräsident der Kommission, für seine Amtszeit als Kommissar für Humanitäre Hilfe ausgesetzt. Die Kommission hat bereits eingeräumt, daß in seiner Amtszeit 600.000 Euro verschwunden sind. Zudem sollen in seinem Amt Gelder, die für Flüchtlinge in Ruanda und Bosnien bestimmt waren, für externe Mitarbeiter ausgegeben worden sein.

Die erzürnten Parlamentarier wären wohl weitgehend besänftigt, wenn Cresson und Marin zurückträten. Doch während Marin am Montag beim Auftritt der Kommissare vor dem Parlament versöhnliche Töne anschlug, zeigte Cresson sich uneinsichtig und verschlechterte mit selbstgerechten Äußerungen die Stimmung weiter.

Auch Kommissionspräsident Santer hat bislang wenig Geschick bewiesen, den Streit mit dem Parlament zu entschärfen. Besänftigen wollte Santer am Montag die Abgeordneten mit dem Vorschlag, einen Verhaltenskodex für sämtliche EU-Beamte zu erlassen und ein weiteres Überwachungsgremium in Haushaltsfragen einzurichten. Etliche Abgeordnete haben aber schon erkennen lassen, daß ihnen diese Vorschläge nicht weit genug gehen. Percy Ehlert