Anleger verlassen die sinkende Währung

In Brasilien lösen die Schuldenprobleme der Bundesstaaten eine Kapitalflucht aus. Die Landeswährung wird abgewertet, der Notenbankchef tritt zurück. Aktienkurse in ganz Lateinamerika geraten ins Wanken  ■ Von Ulrike Fokken

Berlin (taz) – Während die brasilianischen Karnevals-Combos noch die Samba üben, verfallen an der Börse in São Paulo die Kurse in denselben Rhythmus. Am Dienstag sackten die Kurse an der wichtigsten Börse Lateinamerikas um 7,62 Prozent. Innerhalb weniger Stunden brachten in- und ausländische Anleger 1,1 Milliarden US- Dollar außer Landes. Seit Jahresbeginn sind die Aktienkurse schon um 13 Prozent gefallen. Am Dienstag erlebte die Börse São Paulo den stärksten Rückgang seit Beginn der Rußland-Krise im August 1998. Damals wurden Schwellenländer, wie vor allem Brasilien, stark in Mitleidenschaft gezogen. Im November hatte der IWF Brasilien Hilfe in Höhe von 41,5 Milliarden Dollar zugesagt, doch ließen sich die Anleger damit nicht dauerhaft beruhigen. Wegen der Flucht aus der brasilianischen Währung Real sah sich die Zentralbank gestern gezwungen, die Wechselkurs- Bandbreite auf 1,20 bis 1,33 Real pro Dollar festzulegen. Damit wertet Brasilien die Landeswährung de facto um acht Prozent ab.

Dieses Mal jedoch haben nicht die Russen Schuld an den Verlusten. Die Regierung des Bundesstaates Minas Gerais hatte vergangenen Donnerstag ein 90tägiges Schuldenmoratorium verkündet. Der zweitreichste Staat Brasiliens könne seine im Februar fälligen Eurobonds nicht mehr zahlen. Staatspräsident Henrique Cardoso schnaubte zwar, versprach den internationalen Kreditgebern aber, daß sie ihr Geld erhalten würden. Doch geglaubt haben es die Anleger nicht recht. Am Freitag hat dann die Regierung des Staates Rio de Janeiro mitgeteilt, daß sie ihre Schulden an die Zentralregierung nicht weiter zahlen könne.

Die Anleger an der Börse São Paulo zogen schnell ihr Geld ab. Von Buenos Aires über Santiago de Chile bis Mexiko-Stadt taten es die Händler ihnen gleich. Besonders gelitten haben die Anleger in Argentinien. Analysten in Buenos Aires gehen jedoch davon aus, daß sich ihre Börse schnell wieder erholt. Immerhin habe Argentinien ein solides Finanzsystem und eine sparsame Regierung, sagte ein Wirtschaftsexperte der argentinischen Tageszeitung La Nación. Das kann Cardoso nicht von Brasilien behaupten. In den letzten sechs Monaten sind die Devisenreserven des Landes von 70 Milliarden US- Dollar auf knapp die Hälfte gesunken. Daß der Präsident sein angekündigtes Programm zur Sanierung der defizitären Staatsfinanzen im Kongreß durchsetzen kann, wird von Analysten bezweifelt.

Gestern erklärte nun der brasilianische Zentralbankchef Gustavo Franco seinen Rücktrittt. Er soll sich mit seinem Nachfolger und früheren Kollegen für Währungspolitik, Francisco Lopes, über die Abwertung und Zinssenkungen zerstritten haben. Seit langem schon fordern Wirtschaftsexperten, daß die Zentralbank von den derzeit 28 Prozent Zinsen heruntergeht. Die Hochzinspolitik dient zur Stützung des Real, doch bei einer Inflation von nur zwei Prozent wird dadurch die brasilianische Wirtschaft in die Rezession getrieben.