Spionage im Dienste des Pentagons

■ Bei den Überwachungsaktionen der Unscom wurden Daten ermittelt, die die USA bei ihren Luftangriffen im Dezember verwerteten. Das hat die Mission in Verruf gebracht

Hat die UNO-Sonderkommission (Unscom) im Irak eine mit ihrem Mandat unvereinbare Spionage für die USA betrieben? Dieser vom Regime in Bagdad seit Jahren erhobene Vorwurf wird jetzt auch von Scott Ritter öffentlich geäußert, dem Mann, der bis vor fünf Monaten selbst Hauptzielscheibe dieser irakischen Vorwürfe war.

Bis zu seinem Rücktritt im August 98 war Ritter über sechs Jahre der führende US-Amerikaner unter den UNO-Inspekteuren und wegen seiner Hartnäckigkeit und Erfolge beim Aufspüren verborgener Rüstungsgüter einer von Bagdads Lieblingsfeinden. „Auf Befehl von Unscom-Chef Richard Butler“ habe er im letzten Jahr in Bagdad ein Abhörgerät der USA installiert, eine „Black box“ für das Abhören des Funk-und Telefonverkehrs, erklärt Ritter in einem Interview mit der heute erscheinenden Ausgabe des Magazins Stern. Mit dieser Black box habe sich Butler auf eine neue Abhörmethode eingelassen, die „ausschließlich von den USA betrieben wurde“, erklärt Ritter. Er habe seinerzeit „dagegen protestiert, weil das das Mandat der Unscom verletzte und nur der Nachrichtenbeschaffung eines Landes diente“.

In der Sache sind die von Ritter im Stern-Interview beschriebenen Umstände nichts Neues. Insidern bei der UNO sind sie längst vertraut; durch Hintergrundinformationen zweier Untergeneralsekretäre an drei US-amerikanische Zeitungen wurden sie letzte Woche auch einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Unscom-Chef Butler hat den Vorwurf der „Spionage“ für die USA seitdem mehrfach scharf dementiert, die Clinton-Administration hingegen nach anfänglichem Leugnen die amerikanischen Zeitungsberichte voll inhaltlich bestätigt. Lügt hier wer?

Die Wahrheit ist komplizierter und banaler zugleich. Die UNO verfügt zur Durchführung ihrer zahlreichen Feldmissionen – sei es zur Friedensbewahrung, zur Wahlbeobachtung oder zur Kontrolle und Durchsetzung von Abrüstung – über keinerlei eigene Ressourcen. In jedem konkreten Fall müssen das erforderliche Personal und die benötigten Materialien – von der Feldküche über die Fahrzeuge, Kommunikationslogistik bis zu den Waffen – neu bei den einzelnen Mitgliedsstaaten angefordert werden und werden zur Verfügung gestellt – oder auch nicht oder viel zu spät, wie Bosnien, Ruanda, Somalia und andere traurige Beispiele der letzten Jahre zeigen. Diese Abhängigkeit ist die große Schwäche der UNO.

Besonders groß ist diese Abhängigkeit im Fall der Unscom im Irak – der ersten Mission zur Überwachung und Durchsetzung von Abrüstung von Massenvernichtungsmitteln in der Geschichte der UNO überhaupt.

Nur wenige Staaten verfügen über die hierfür benötigten Technologien und ausgebildeten Experten. Mit Beschluß des Sicherheitsrates vom April 91, in dem die Abrüstungsauflagen gegen Irak festgelegt wurden, wurden alle anderen 185 UNO-Staaten vom New Yorker Hauptquartier schriftlich zur uneingeschränkten Unterstützung der Unscom-Mission aufgefordert. 35 Staaten reagierten darauf positiv.

Bereits 1994 beklagte Butlers Vorgänger Rolf Ekeus gegenüber dem Sicherheitsrat, daß die der Unscom zur Verfügung gestellten Aufklärungsmittel nicht ausreichten, um die vom Irak mit raffinierten Geheimhaltungstricks verborgenen Rüstungsgüter und militärischen Anlagen aufzuspüren. Zusätzlich zur Überwachung aus der Luft durch Satelliten sowie durch Vorort-Inspektionen benötigte die Unscom ein System zum Abhören und Entschlüsseln des Funk- und Telefonverkehrs zwischen irakischen Regierungsoffiziellen, Militärs und Sicherheitskräften.

uf Antrag Butlers wurde die Unscom schließlich im Februar 98 mit einem System ausgerüstet, das dazu in der Lage war. Das System kam von den USA. Die mit diesem Abhörsystem gewonnenen Erkenntnisse wurden von den US- Experten unter den Inspekteuren auch den nationalen Geheimdiensten CIA und DIA zur Verfügung gestellt. Doch solange die Erkenntnisse lediglich zur Unterstützung der Aufklärungs- und Überwachungsarbeit der Unscom eingesetzt wurden, gab es zumindest UNO-intern keine Kritik. Auch bei Ritter nicht. Seine ersten Zweifel kamen auf, als US-Außenministerin Madeleine Albright Unscom-Chef Butler nachweislich mindestens sechsmal von Überraschungsinspektionen von verdächtigen Anlagen im Irak abhielt, auf die die Unscom mit Hilfe des neuen Abhörsystems aufmerksam geworden war.

Doch die Militärschläge vom letzten Dezember bedeuten eine neue Qualität. Denn Amerikaner und Briten nutzten die mit Hilfe des Abhörsystems gewonnenen Daten zur Zielfestlegung für ihre Cruise Missiles und Kampfbomber. Und zwar nicht nur gegen militärische Anlagen und Infrastruktureinrichtungen, sondern ganz gezielt auch gegen Menschen. Die vom Pentagon letzte Woche als „Erfolg“ verkündete Tötung von bis zu 1.600 Mitgliedern der Republikanischen Garden war nur möglich mit Hilfe der aus der Abhörüberwachung gewonnenen Daten. Mit den Satelliten ließen sich zwar Gebäude der Republikanischen Garden feststellen, nicht aber ihr tatsächlicher Aufenthaltsort. Andreas Zumach