Regionalliga unter rauchenden Schloten

■ Die A-Jugend von Vorwärts-Wacker spielt oben mit – trotz professioneller Konkurrenz

Graue Plattenbauten prägen diesen Teil der Stadt. In der Ferne steigen Rauchschwaden aus den Schloten einer kleinen Fabrik in den Abendhimmel. „Es gibt schönere Ecken als Billstedt“, weiß Daniel Aydin. Trotzdem verbringt der 18jährige Aramäer einen Großteil seiner Freizeit hier. Als einer von 22 A-Jugendlichen der ersten Mannschaft von Vorwärts-Wacker schnürt er sich regelmäßig vier- bis fünfmal in der Woche seine Fußballschuhe.

Im zweiten Jahr spielt der Wacker-Nachwuchs nun in der Regionalliga Nord, der höchsten deutschen Jugendklasse. Und das mit großem Erfolg: Als einziges der ersten sechs Teams hat Vorwärts keine professionelle Fußballabteilung. Werder Bremen, VfL Wolfsburg, Hannover 96 und auch die städtischen Kontrahenten des Hamburger SV und FC St. Pauli haben weitaus bessere Möglichkeiten in der Talentförderung. Doch obwohl das Saisonziel nur Klassenerhalt heißt, rangieren die Kicker des Billstedter Amateurvereins auf Platz vier. Die Aussichten, die beste Hamburger A-Jugend-Elf zu werden, sind besser denn je.

Der Stadtteil trägt durch seinen hohen Ausländeranteil zur Qualität bei. Dem Aufgebot gehören neun Akteure mit ausländischem Paß oder doppelter Staatsbürgerschaft an. Sie sind in Kasachstan, Polen, Portugal, Iran, Sudan, Deutschland, Syrien oder der Türkei geboren. „Das ist im Jugendbereich auf höherem Niveau in jedem Team üblich“, sagt Übungsleiter Markus Weber, der zu Saisonbeginn das Training des Regionalligisten übernahm, „andernfalls hat man kaum noch Chancen, erfolgreich zu sein.“ Bereits beim HSV, wo er fünf Jahre als Jugendcoach tätig war, habe er diese Erfahrung gemacht.

Mit rassistischen Sprüchen und Anmache haben sich alle ausländischen Spieler schon auseinandersetzen müssen. Im Team ist Fremdenfeindlichkeit aber noch nie ein Thema gewesen. „Zusammen Fußball spielen und Spaß haben“, beschreibt Przemyslaw Osinski (18), polnischer Neuzugang von Concordia Hamburg, den Zusammenhalt der Acht-Nationen-Elf. Die Integration der ausländischen Spieler läuft weitgehend ohne Sprachschwierigkeiten ab. „Alle können deutsch“, schildert Weber. Und wenn die Spieler mit den Entscheidungen des Schiedsrichters nicht einverstanden sind, müssen sie ihre Beschwerden sowieso in dieser Sprache verfassen, denn „etwas anderes versteht der nicht“. Nur wenn der Mann in Schwarz nicht begreifen soll, dann fliegen auch fremdsprachliche Schimpfwörter über den Platz. „Das kommt allerdings sehr selten vor“, schränkt der 31jährige ein.

Überhaupt seien seine „Südländer“ gar nicht so heißblütig, wie alle denken. „Wenn bei mir mal einer den Mund aufmacht, ist es zumeist ein Deutscher. Die sind labiler“, vermutet er. Profane Temperamentausbrüche hält der Fußball-Lehrer sogar für wichtig. Nicht, daß er sich eine Truppe pubertierender Kindsköpfe wünscht, „sich untereinander die Meinung zu sagen, gehört aber auch dazu“.

Ob einer seiner 22 Teenager den Sprung in den bezahlten Fußball schaffen wird, vermag der Trainer nicht zu sagen. Nicht selten verhindern altersbedingte Stolpersteine, wie Lebenswandel, Selbstüberschätzung oder andere Hobbys den Einstieg in die Professionalität. Immerhin: „Das sind alles Spieler, die später einmal Regional- bis Landesligaformat haben werden“, erklärt Weber und zieht sein Fazit: „Talentierte Jungen gibt es genug, man muß sie nur richtig fördern.“

Das gelingt bei Vorwärts-Wacker. Nicht weniger als 13 A-Jugendspieler wechselten im Sommer in den Oberliga-Kader der ersten Herren-Mannschaft. Mindestens fünf treten regelmäßig in der Anfangsformation gegen den Ball. Markus Schwoy (18) ist einer von denen, die im nächsten Jahr folgen sollen. Es sei denn, es läge eine Offerte von einem Proficlub vor. „Mein großer Traum“, erzählt der U 18-Nationalspieler, „dafür würde ich sogar vorzeitig die Schule verlassen.“ Bislang gefällt es dem Gymnasiasten in Hamburgs Süd-osten allerdings ausgezeichnet. „So mies, wie alle denken, ist Billstedt nämlich nicht.“ Oliver Lück