Luxus auf Vereinskosten

■ Kassiererin einer privaten Kindergruppe steht wegen Unterschlagung von 200.000 Mark vor Gericht. Der Verein mußte sparen - sie lebte auf großem Fuß

Die Angeklagte, eine 31jährige Frau, die sich wegen Unterschlagung vor dem Bremer Amtsgericht verantworten muß, spricht so leise, daß man sie kaum versteht. „Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe“, sagt sie mit dünner Stimme. Rund 200.000 Mark soll sie über einen Zeitraum von zwei Jahren als ehrenamtliche Kassiererin einer privaten Kindergruppe unterschlagen haben. „Hatten Sie finanzielle Sorgen“, will der Richter wissen. Die Frau schüttelt den Kopf. Mit hängenden Schultern sitzt die Mutter zweier Kinder auf der Anklagebank. Sie trägt umgekrempelte Jeans, dazu ein formloses schwarzes Sweat-Shirt. Das lange, blonde Haar ist zum Zopf geflochten.

Die Eltern des Vereins kannten ihre Kassiererin ganz anders. In schicken Designer-Klamotten rauschte sie morgens in den Hort, brachte ihre Kinder und spielte die erfolgreiche Karrierefrau. „Gestern hat mich meine Chefin angemacht, weil meine Nägel nicht richtig lackiert waren“, habe sie einmal geklagt, erinnert sich die zweite Vorsitzende, eine Architektin. Ein anderes Mal habe sie über ein neues Computerprogramm gestöhnt. Im Verein erzählte die Kassiererin, daß sie Diplom-Ökonomin sei. Früher habe sie ein Geschäft geleitet, jetzt sei sie Angestellte einer Fluggesellschaft. Um den Posten der Kassiererin habe sie sich regelrecht gedrängt, erinnert sich die erste Vorsitzende, eine Psychologin. „Das ist ein Job, den keiner haben will, weil er mit viel Arbeit verbunden ist. Wir waren froh, daß wir jemanden gefunden hatten.“

Als Kassiererin bekam die Angeklagte Kontovollmacht und eine EC-Karte. Mit der EC-Karte bezahlte sie Designer-Klamotten, teure Schuhe und Spielsachen für ihre Kinder im Werte von 14.000 Mark. Im Verein regierte die Kassiererin dagegen mit eisernem Rotstift. „Wir haben Schulden und müssen sparen“, sagte sie den Eltern. „Wir haben nicht investiert, keine Spielsachen gekauft, die Erzieher haben auf Gehalt verzichtet“, erinnert die erste Vorsitzende. Die Beiträge pro Kind wurden auf 500 Mark monatlich angehoben. Wie sich später herausstellte, zahlte die Kassiererin für die Betreuung ihrer beiden Kinder allerdings keinen Pfennig.

Immer häufiger warteten die Mitarbeiter am Monatsende vergeblich auf ihr Gehalt. Mitunter drückte die Kassiererin ihnen das Geld erst Tage später bar in die Hand. Zum Schluß pumpte sie sogar die beiden Vereinsvorsitzenden an, um die Gehälter der Mitarbeiter zahlen zu können. Das Sozialamt habe versäumt, die Zuschüsse zu überweisen, log sie. „Ich habe das Geld von meinem Notgroschen genommen. Ich dachte, die Leute, die auf unsere Kinder aufpassen, müssen doch bezahlt werden“, sagt die erste Vorsitzende.

Als die Frauen ihr Geld nicht zurückbekamen, flog die Sache auf. Nachdem sie die Kassiererin etliche Male gemahnt hatten, verlangten die Vereinsvorsitzenden endlich Einsicht in die Bücher. Die Kassiererin versuchte daraufhin, sich das Leben zu nehmen. Ihr Lebensgefährte brachte dem Vorstand am Tag nach dem Selbstmordversuch fünf Plastiktüten mit Belegen und Kontoauszügen. Eine Steuerberaterin versuchte zu rekonstruieren, wieviel Geld fehlte. Sie kam auf über 200.000 Mark. Doch während die Unterschlagung von 14.000 Mark der Angeklagten zweifelfrei nachgewiesen werden kann, weil sie ihre Privateinkäufe mit der EC-Karte bezahlt hat, ist das restliche Geld zum großen Teil bar oder per Scheck abgehoben worden. Sie habe nicht das ganze Geld für sich ausgegeben, sondern auch Mitarbeiter bezahlt, behauptet die Angeklagte. Doch die Summe des unterschlagenen Geldes entscheidet unter Umständen darüber, ob die Angeklagte auf Bewährung hoffen kann oder ins Gefängnis muß. Das Gericht setzt das Verfahren deshalb aus. Die Staatsanwaltschaft muß jetzt jeden einzelnen Geldbetrag prüfen, um die genaue Schadenshöhe festzustellen.

Die Eltern haben ihren Verein inzwischen mit knapper Mühe vor dem Konkurs gerettet. Drei Tage nachdem der Schwindel aufgeflogen war, weigerte sich die Großküche, Mittagessen für die Kinder zu liefern. „Wir haben halt wieder selbst gekocht“, erzählt eine Mutter. Warum sie solange keinen Verdacht geschöpft haben, können sich die Eltern heute selbst nicht mehr erklären. „Sie war halt so sympathisch und machte so einen kompetenten Eindruck“, sagt die Vorsitzende. „Immer wenn wir die Akten sehen wollen, waren sie beim Sozialamt oder beim Steuerberater.“ Und eine andere Mutter fügt hinzu: „Wir sind doch auch alle berufstätig.“ Kerstin Schneider