Gelungener Neuanfang im Altonaer Theater mit Kleists „Amphitryon“

Wer vom Olymp zur Erde reist, braucht einen großen Koffer. Den schleppt Merkur, der Gott der Kaufleute, voll bepackt und keuchend mit sich rum – ein veritabler Handlungsreisender in Liebeshändeln. Und ein großer Verwirrspieler, denn die Requisiten aus dem Überseekoffer haben es in sich: Mal fischt er eine überdimensionierte Sanduhr heraus, mit der er –ganz der beflissene Diener – seinem Herrn Jupiter das Schäferstündchen mit Alkmene verlängert, mal fingert er eine Zauberschnur hervor, mit der er dem dummdreisten und bauernschlauen Sosias sein Ich raubt. Womit das Verwechslungsspiel um Amphitryon seinen Lauf nimmt und sich die plötzlich gedoppelten Figuren sehr gesprächig auf die lange Suche nach sich selbst machen.

Interessanter ist allerdings die Frage, ob auch das Altonaer Theater mit der Wiedereröffnungs-Premiere vom Sonnabend seine Identiät wiedergefunden hat. Neu-Intendant Axel Schneider hatte zu einem großen Spagat-Sprung angesetzt und wollte sowohl den Alt-Abonnenten aus der Fitze-Ära seine Reverenz erweisen als auch junges Publikum ansprechen.

Gelandet ist er irgendwo zwischen Schauspielhaus und Vorstadtbühne – und liegt da genau richtig im Publikumsgeschmack. Schneiders Inszenierung der Kleist-Komödie ist sichtlich um Balance bemüht: kein Bildersturm auf den Klassiker, aber auch keine altbackene Neuauflage aus Omas Lustspielhaus. Und so wagt er von allem ein bißchen: Die Kostüme sind ein Potpourri aus antiken Gewändern, Großvater-Anzügen und zeitgenössischen Straßenklamotten, Kleistens Text kam ohne große Eingriffe recht ungekürzt davon und beim schlichten Bühnenbild kann jeder an was Schönes denken.

Wolfgang Hartmann müht sich redlich, die undankbare Rolle des Jupiter zu spielen, wirkt dabei aber etwas hölzern und im Tonfall zu getragen. Daß Alkmene gerade mit ihm eine tolle Nacht verbracht haben soll, mag man nicht recht glauben, es sei denn, die Götter haben ihren ganz eigenen Sex-Appeal. Den freilich hat Amphitryon (Stephan Koch), der den Rollenwechsel vom stolzen Feldherrn zum gehörnten Ehemann brillant meistert. Auch Alkmene (Angela Quast) überzeugt durch Wandlungsfähigkeit: Mal lasziv schäkernd, mal schüchtern-verwirrt bewegt sie sich zwischen den zwei Männern, die beide behaupten, mit ihr verheiratet zu sein. Erfrischend tolpatschig und mit dem richtigen Gespür für den hintergründigen Humor der Geknechteten spielt Ulrich Bähnk den Publikumsliebling Sosias.

Kein Zweifel, es ist ein gelungener Neuanfang und eine solide Inszenierung, wenn sie auch manchmal zaghaft scheint und es am dramaturgischen Mut zum Wagnis fehlt. In Merkurs Koffer steckt sicher noch mehr, als die Premiere gezeigt hat. Oliver Fischer