Die Welt im Bunker

■ Sie wurden gebaut, um die „kämpfende Nation“ zu schützen. Und sie waren so stabil, daß sie nach dem Weltkrieg nur mit immensen Kosten gesprengt werden konnten. Ein Buch spürt der Geschichte der Luftschutzanlagen in Norddeutschland nach

Die Welt der Bunker – das ist die Welt unserer Vorväter und –mütter. Dort haben sie manche Nacht, manchen Tag gehockt. Kinder wurden in ihnen geboren, Ehen geschlossen, Feindschaften besiegelt, Feste gefeiert, Leben beendet. Hinter dicken Wänden und eisernen Schottentüren drängelte sich im frisch entfesselten Krieg „die Heimat“ und „damit die Kraftquelle der kämpfenden Nation“, wie es 1938 ein NS-Funktionär formulierte. Diese „Kraftquelle“ galt es zu schützen. In manchen Städten, wie etwa in Wilhelmshaven als wichtigem Kriegsmarinehafen, setzten die Bombenangriffe bereits ein, nachdem die Wehrmacht im September 1939 Polen überfallen und damit den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte.

Aber erst die für deutsche Luftangriffe auf London durchgeführten britischen Vergeltungsangriffe auf Berlin Ende August 1940 beschleunigten den reichsdeutschen Bunkerbau entscheidend. Per „Führererlaß“ wurde angeordnet, „den absoluten Volltrefferschutz für die gesamte Zivilbevölkerung“ herzustellen. Tatsächlich stand vor allem der Schutz von Arbeitskräften in der Rüstungsindustrie im Mittelpunkt. Wie nahezu alle NS-Planungen war auch dieses Vorhaben so bombastisch wie maßlos – und kaum realisierbar. Bis 1945 entstanden – grob geschätzt – 6.000 Bunker aller Arten, viel zuwenig für den Schutz der Zivilbevölkerung. Die lernte beten: „Da hat man gebetet. Da hat man auch sehr realistisch gedacht. Da oben an den Bomber. ,Drück nicht auf das Auslöseknöpfchen, bitte, nicht drücken, bitte noch nicht, bitte, da oben.“

Nach 1945 endete die Geschichte der aus Eisenbeton gegossenen Monumente nicht. Die Sieger wollten sie sprengen, als möglichen Schutz für die Zivilbevölkerung in kommenden Kriegen ausschalten. Deutsche kommunale Verwaltungen baten darum, die Kolosse stehen zu lassen, waren sie doch zumeist in eng bebaute Stadtteile gewuchtet worden. Durch die Zerstörung der für die Ewigkeit gebauten Bunker – mühselig mußten tiefe Sprenglöcher gebohrt werden – drohten irreparable Schäden in den Versorgungsleitungen. Überdies boten sich die ausgedienten Luftschutzanlagen als Notunterkünfte für Flüchtlinge und Ausgebombte an oder als Lagerräume. In einigen Fällen fanden selbst Bordelle hier einen bombensicheren Unterschlupf. Erste große Hotels begannen ihren Nachkriegsbetrieb in Bunkern, wie etwa das Braunschweiger Central Hotel, dessen „Barbarina-Bar“ pünktlich zum Weihnachtsfest 1948 eröffnet wurde und bis 1961 durchhielt. In den Zimmern standen zunächst alte Betten, während die Wäsche aus zebragemustertem Stoff bestand, eigentlich bestimmt für KZ-Häftlingskleidung; davon gab es noch reichlich.

Michael Foedrowitz ist der Geschichte einer Welt im Bunker und den Geschichten drumherum mit ungeheurer Energie, fast schon manisch nachgegangen. Allein die Aufzählung der benutzten Archive, Sammlungen, der Korrespondenzen und Interviews mit Zeitzeugen füllen sechs engbedruckte Seiten. Und das alles beansprucht Geltung nur für Norddeutschland.

Bernd Ulrich, 42, lebt als freibruflicher Historiker und Publizist in Berlin

Michael Foedrowitz: Bunkerwelten. Luftschutzanlagen in Norddeutschland. Ch. Links Verlag, Berlin 1998, 221 S., 68 Mark