Echt cosmic!

■ Die Sechs-Ämter-Tropfen-Connection und andere Verschwörungen: Jürgen Roth und Kay Sokolowsky erklären endlich, wer dahintersteckt

Der spitze Dolch im weiten Brokatgewand. Das Tuscheln hinter dem nervös wedelnden Fächer. Und was sind das für Muster auf dem Fächer, all diese ineinander verschlungenen Zeichen? Ein Code der Arabesken, der in bedeutungsvollem Takt auf und ab geht: die Loge, die Firma, das Kartell!

Ein Pfund weichgekochte Spaghetti verkleben, verknoten sich, pappen und hängen irgendwie zusammen: „Verschwörung!“ schreit der Beziehungswahnsinnige. „Zu wenig Öl im Wasser!“ entgegnet der Aufklärer. Richard Herzinger wußte: „Verschwörungstheorien aufzustellen macht Spaß und hält den Denkungsapparat in Gang.“

Das Taschenbuch „Wer steckt dahinter?“ gönnt sich und uns diesen anregenden Spaß, zeichnet einige reizvolle Theorien nach oder entwickelt neue. Hinter der Unternehmung steckt das Autorenduo Jürgen Roth und Kay Sokolowsky. In 22 Beiträgen klopfen sie im Verbund mit den Gastautoren Tom Wolf und Jörg Schröder die unterschiedlichsten Komplotte ab. Sowohl die klassischen Fälle wie JFK, Barschel und Lady Di als auch die Verschwörung des Wetters und des Kosmos insgesamt. Der Buchumschlag zeigt eine Zeichnung aus der Titanic, und der Fahrtwind des endgültigen Satireluxusliners weht auch hier. Es ist ein komischer Genremix entstanden, in dem ein Essay neben einer Ode oder einer dialogisierten Zitatcollage steht. Am wahnwitzigsten ist der Gastbeitrag des Verlegers und Erzählers Jörg Schröder, der seine Berichte aus der Literaturszene als fortlaufenden Feuilletonroman im März-Desktop-Verlag anbietet. Nur zu empfehlen oder um ihn selbst zu Wort kommen zu lassen: „Das war wieder mal cosmic!“

Ein Bonmot von Borges abwandelnd, könnte man sagen, daß Verschwörungstheorien ein interessanter Zweig der fantastischen Literatur sind. Der Beziehungswahn übt einen ästhetischen Reiz aus. Alles steht miteinander in Beziehung, ist nicht mehr nur trübe vor sich hin schwappende Suppe, sondern hochorganisiertes Geflecht. Aber leider sind Komplotthesen auch gegenaufklärerisch und antimodern, jawohl, und pusten geheimnisvoll Mauschelndes in die meist sowieso nur graue Welt. Im günstigen Falle sind sie dann Opium fürs Volk respektive Molle mit Korn für den Stammtisch, im ungünstigen der Schaum vorm Maul des Rassisten, der hinter allem eine vermeintliche zionistische Logenwirtschaft wittert. Die Autoren stellen beide Aspekte der Verschwörung heraus: das Komplott als ästhetisches Vergnügen oder als kollektive Paranoia. Im O-Ton: „Der Wahn (...) reproduziert, klassische Figur der Phobie, dergestalt die pathetische Projektion, welche dem Feind anlastet, was man selbst projektierte.“ Bzw.: „Komplottmythen sind kompakt und leichenkalt wie Diamanten.“

Sokolowsky und Roth unterzeichnen ihre Texte nicht. 20 Beiträge bleiben also anonym. Wer steckt dahinter? Auf Seite 180 wird das Geheimnis gelüftet. Vorsicht ist natürlich geboten bei unserem Thema, aber augenscheinlich ist es Roth, der hier schreibt: „Da gebe ich lieber an Herrn Sokolowsky.“ Von nun an ist also alles klar: Stilistisch sind die Autoren gut zu unterscheiden. Roth formuliert am konspirativsten: Seine Sätze verzweigen sich zu struppigem Unterholz, Adverbien verwuchern das Gesamtbild, ein Paradies für die semantische Guerilla, schlängelnd verschwindet der rote Faden im Maquis, Nebensätze untergraben geradezu die Hauptsätze, zerschlagen sie, ja versuchen sie global zu kippen. Es ist eine wahre und mindestens allumfassende Hauptsatzumstürzung im Gange, allerunübersichtlichst sind diese Nebensatzmachenschaften mit ihren Adjektivgerinnseln, bedrohlich ist ihr Wirken und geheimbündlerisches Gebaren im Dickicht der Kommas oder Kommata, als Zitat und Gegenzitat camouflierte Verwirrungseinschübe treiben die Revolte voran, Semikolonbarrikaden schichten sich auf, all das Geschlinge windet sich in spasmischen Semikoliken, und hinter der vorgehaltenen Hand der Klammer raunt die Ergänzung. Das Bild mit der Klammer habe ich geklaut. Von Arno Schmidt. Was aber nicht erklärt, warum Jürgen Roth genau wie Eckhard Henscheid schreibt. Steckt der hinter allem? Oder die mysteriöse Sechs-Ämter-Tropfen- Connection? Ebenso verdächtig ist, daß mir der Verlag gleich drei Rezensionsexemplare an zwei verschiedene Adressen geschickt hat. Stephan Maus

Jürgen Roth/Kay Sokolowsky: „Wer steckt dahinter? Die 99 wichtigsten Verschwörungstheorien“. KiWi, Köln 1998, 19,90 DM