Glockenläuten, Käse und ein Exkurs in Gechichte

■ Helmut Kohl ist der Überraschungsgast im Wahlkampf des hessischen CDU-Spitzenkandidaten Roland Koch. Der erste Auftritt des Ex-Kanzlers dieser Art ist vor allem eins: ein Déjà-vu-Erlebnis

Frankfurt (taz) – Bisher kein Ansturm auf die Unterschriftenlisten. Gestern, Frankfurter Innenstadt, Zeil: Déjà-vu pur nach Monaten der Entzugserscheinungen. Dieser zeltartige Mantel, die tapsigen Gesten, die Patschhände, die die Fotografen dirigieren. Das ist und bleibt „der Kanzler“, Schröder hin, Lafontaine her.

Helmut Kohl ist der Überraschungsgast im Wahlkampf des hessischen Spitzenkandidaten Roland Koch (CDU). Im Café Hauptwache sitzt er im ersten Stock in der winzigen japanischen Bar ausgerechnet vor einem Bonsai-Baum und faltet die Hände über dem mächtigen Bauch. Alle warten sehnsüchtig. Tut er es beim ersten und bisher einzigen öffentlichen Auftritt dieser Art? Oder tut er es nicht? Er tut es! Er sagt: „Gechichte“. Als Kohl zu der von Koch in Hessen forcierten CDU-Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gefragt wird, hebt er an, ausgiebig in die „Gechichte“ abzuschweifen über Asiaten in den Niederlanden und Afrikaner in Frankreich. Unterschreiben wird er daheim im Parteibüro: „Ich mache keinen Stand in meinem Wohnzimmer auf.“

Im Frankfurter Parteibüro sind am Donnerstag 620 Unterschriften zusammengekommen. Geschäftsführer Daum: „Wir haben nicht gerade Menschentrauben vor der Tür.“ Ab heute liegen die Listen an den Informationsständen der CDU in den Innenstädten aus. Die „Republikaner“ haben angekündigt, daß sie ihre Tapeziertische in Frankfurt und Wiesbaden dicht daneben stellen werden. Von Gemeinsamkeiten mit den „Republikanern“ will der große Europäer Kohl nichts wissen. Und grummelt wie eh und je. Unter deren Angriffen habe er schließlich mehr gelitten „als jeder andere“.

Die Füße trapsen unter dem Tisch, die Wangen beben. Kohl kehrt vor der Tür der SPD, die mit „den Kommunisten, mit den Verrätern, mit den Verächtern der Demokratie“ zusammenarbeite: „Die sollten sich schämen!“ Und räsonieren kann er auch noch. Über Moscheen, Muezzine, Glockenläuten, christliches Abendland und darüber, daß in „allen anderen Ländern der Welt“ die Schulkinder morgens brav ihre Nationalhymne singen. Das, findet er selbst, „ist eine schöne Schlagzeile“.

Kohls Auftritt soll auch für ihn selbst ein Déjà-vu sein. 1997 hatte er Oberbürgermeisterkandidatin Petra Roth durch die Stadt begleitet. Und die habe damals schließlich auch gewonnen. Also macht sich Glücksbringer Kohl zusammen mit Koch und dem ganzen Medienpulk noch einmal auf den Fußweg: durchs Buchkaufhaus hindurch, keine Koch-Bücher, kurzer Halt bei der „Gechichte“. Dann im Eiltempo weg von der Theorie, hin zur frugalen Praxis im Pralinenladen, Trüffeln tütenweise. Schwenk von der Zeil in die Altstadtstraßen.

Koch kichert: „Interessiert Sie das?“ Des Ex-Kanzlers Augen ruhen wohlgefällig auf einer nackten Jugendstilschönen im Antiquariat. Ziel ist das inoffizielle Heiligtum der Frankfurter, die Kleinmarkthalle. Die Gänge zwischen den Ständen voll fremdländischer Genüsse sind eng, der Kanzler schiebt sich voran.

„Der Mann ist“, sagt eine ins Abseits gedrängte Hausfrau, „ganz einfach zu dick!“ Kohl probiert Käse: „Von dem da!“ Aus der Normandie, 75 Prozent Fettgehalt. Heide Platen