Ein Infotelefon für 3.600 Kranke

■ 3.600 junge Frauen leiden in Bremen mittlerweile an Eßstörungen / Spezielle Beratungsangebote fehlen / Gesundheitsressort schlägt aber nur ein Kontakttelefon vor

Fast 3.600 Mädchen und junge Frauen leiden im Bundesland Bremen mittlerweile unter Eßstörungen. Damit schlucken sechs Prozent aller Frauen zwischen 15 und 34 Jahren Appetitzügler, erbrechen oder hungern. Diese Zahlen hat jetzt erstmals das Gesundheitsressort ermittelt. Erhöhten Hand-lungsbedarf sieht man dort aber trotzdem nicht, kritisieren nun betroffene Eltern. Sie bemängeln schon länger, daß in Bremen Beratungsangebote fehlen (wir berichteten). Die vom Gesundheitsressort jetzt vorgeschlagene Lösung stößt deshalb auf Kritik: Es soll neben mehr Prävention ein staatliches Kontakttelefon geben.

Dabei bestätigt der neue Bericht gerade den Angebotsmangel in der Stadt: Ältere Frauen würden sich aufgrund ihres Alters ohne Probleme an Psychotherapeutinnen wenden, heißt es da. Ganz junge Mädchen dagegen nicht, obwohl gerade ihr Anteil bedrohlich wachse. „Spezielle Beratungsangebote für Mädchen und junge Frauen existieren nicht“, urteilt der Bericht. Selbsthilfegruppen in Mädchentreffs wurden „aus finanziellen Gründen eingestellt“. Trotzdem heißt es, das „Beratungs- und Therapieangebot“ sei ausreichend: „Zusätzliche spezialisierte Einrichtungen sind nicht notwendig.“

Entsetzt darauf reagiert neben dem „Elternkreis eßgestörter Töchter und Söhne“ jetzt auch die grüne Bürgerschaftsfraktion: Sie hatte parteiübergreifend mit allen anderen Fraktionen von Gesundheitssenatorin Tine Wischer (SPD) ein Konzept gegen Eßstörungen eingefordert. Der nun vorgelegte Bericht sei „schwach“, bilanziert Elternkreis-Vorsitzende Heidemarie Gniesmer. „Nicht ausreichend“, urteilt auch die grüne frauenpolitische Sprecherin Maria Spieker.

Das beim Gesundheitsamt anzugliedernde Kontakttelefon würden „die jungen Mädchen doch gar nicht anrufen“, meint Gniesmer. In Mädchentreffs dagegen „arbeiten junge Frauen, die die Mädchen auch erreichen“. Der Elternkreis fordert deshalb offene Beratungsangebote samt Selbsthilfegruppen in solchen Treffs. Ein entsprechendes Konzept liegt schon fertig in der Schublade. Aber dafür erhielt der Mädchentreff „Gewitterziegen“ beim Gesundheitsressort schon 1977 eine Absage: „Dabei hatten wir nur eine Psychologenstelle gefordert, um in diesen Sparzeiten überhaupt eine Chance zu haben“, so eine Mitarbeiterin.

Was jetzt jeder ahnt, aber nicht auszusprechen wagt: Der Bericht mußte so mager ausfallen, um wegen des gebeutelten Ressortetats jede zusätzliche Mark an Kosten zu vermeiden: „Finanzielle Auswirkungen: Keine“, steht deshalb in der Vorlage. Aber damit wollen sich die Grünen nicht zufrieden geben: „Hier ist ein neues Problem aufgetaucht, darauf muß man flexibel reagieren können“, sagt die Grüne Maria Spieker. „Im Bereich der Jugendkriminalität konnte auch Geld locker gemacht werden, umschichten geht also.“

Diese Forderung unterstützt auch die CDU-Fraktion: „Am Geld darf es nicht scheitern“, sagt die sozialpolitische Sprecherin Silke Striezel: „Wenn das Thema für das Ressort eine Herzensangelegenheit gewesen wäre, hätte der Bericht anders ausgesehen“, kritisiert sie. Jetzt müsse das Ressort auf jeden Fall nacharbeiten. Und das tut es wohl auch: Die Sozialdeputation forderte SPD-Gesundheitssenatorin Tine Wischer jedenfalls vergangene Woche zur Vorlage eines neuen Konzeptes auf. Auch die SPD-Deputierten waren wohl nicht ganz zufrieden: „Aber wir wollen alles noch etwas genauer wissen – zum Beispiel, wie es mit der Präventionsarbeit weitergehen soll“, erklärt Elke Steinhöfel, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Generell sehe nämlich auch sie keinen Beratungsmangel. Denn: „Das Sozialressort ist doch total pleite.“

Katja Ubben