Die Jasagerin

Petra Pau, Landesvorsitzende der Berliner PDS, ist eine der beharrlichsten ReformerInnen in der Partei des Demokratischen Sozialismus. Richtig unbeliebt macht sich die Deutschlehrerin und ehemalige Pionierleiterin damit trotzdem nicht – denn sie ist einfach zu nett. Ein Porträt  ■ Von Barbara Junge

Als die Mauer aufging, da war Petra Pau eben schlafen gegangen. Die neue Ein-Raum-Wohnung im frisch hochgezogenen Stadtteil Hellersdorf lag weit entfernt vom goldenen Westen. Günther Schabowski hatte zwar noch so etwas im Fernsehen gesagt. Doch „das hörte sich irgendwie nach einem Reisegesetz an“. Am nächsten Morgen, als sie von Hellersdorf im Osten Berlins nach Mitte zur Arbeit fuhr, war die S-Bahn ganz merkwürdig voll. Aber es war früh, die FDJlerin noch ganz schön müde, und außerdem herrschte ohnehin überall in der DDR Chaos in diesen Tagen im Herbst 1989.

Heute kann man sich manchmal nicht des Eindrucks erwehren, ein guter Teil der GenossInnen, mit denen die Berliner Landesvorsitzende ihre Partei, die PDS, betreibt, hätte die Maueröffnung verschlafen. Nur die unscheinbare Rothaarige aus Hellersdorf nicht. Was die Sehnsüchte zur Vergangenheit angeht, ist Petra Pau meistens hellwach.

„Wacker“ bezeichnet auf dem Parteitag im Haus am Köllnischen Park am Samstag ein Beobachter das, was Petra Pau in dieser umstrittenen Partei macht. „Tapfer“, wie sie da im Parteitagspräsidium vor Hunderten von GenossInnen sitzt, von denen nicht wenige am liebsten alle Stasi-Mitarbeiter rehabilitieren und außerdem die DDR wiederhaben wollen. Mit acht anderen sozialistischen VolksvertreterInnen hat die Berliner Landeschefin, die seit Herbst auch im Deutschen Bundestag sitzt, jüngst schriftlich gegen die Beschäftigung des ehemaligen DDR- Topspions Reinhard Rupp in der PDS-Bundestagsfraktion protestiert – eine Rebellion ohne Erfolg. Keinen Jahrestag läßt die 36jährige aus, um erneut eine Distanzierung zur DDR-Vergangenheit zu präsentieren. Selbst eine Parteireform strebt sie an – um aus einem Nostalgieverein eine vorwärtsgewandte Parteigliederung zu drechseln. Widerstand von der Basis ebenso wie von oben sind ihr gewiß.

Mitreißendes Charisma, welches ihr die Sache erheblich erleichtern könnte, kann man bei Petra Pau nicht entdecken. Weshalb ihr die berüchtigte Viererbande der PDS-Spitze (Gregor Gysi, Lothar Bisky, Andre Brie und Dietmar Bartsch) auch zur Bundestagswahl im vergangenen Jahr nicht den Wahlkreis in Berlin anvertrauen wollte. Den wichtigsten aller Wahlkreise: Mitte/ Prenzlauer Berg; gegen Wolfgang Thierse, gegen Günther Nooke.

Am Wochenende nun, auf dem ersten Parteitag nach der erfolgreichen Wahl, gab es spontanen Beifall, als der Bundesvorsitzende Bisky lobte, Petra Pau habe gezeigt, „daß Berlins wirkliche Mitte auch durch ein Eigengewächs der PDS zu gewinnen ist“. Ähnlichen Beifall hatte es zuvor nur für den Delegierten der kommunistischen Partei Iraks und für den aus Kuba gegeben.

Sie ist einfach zu nett, zu zurückhaltend, um ihr knallharte Politik zu unterstellen. Wenn Petra Pau etwas unterstreichen will, dann nickt sie unaufhörlich mit dem Kopf. Eigentlich nickt sie fast immer. Und sie lächelt sehr viel. Sehr verbindlich, sicherheitshalber. Das mit dem Grenzen ziehen, das fiele ihr nämlich ziemlich schwer, meint ein enger Vertrauter. „Nein sagen, das kann ich nicht gut“, gibt die gebürtige Kaulsdorferin – heute ein Stadtteil von Berlin-Lichtenberg – zu. Dabei sei es jetzt schon besser als vor vielleicht fünf Jahren. „Ich habe auch gelernt, mich zu schützen, mir sicheren Raum zu verschaffen.“

Petra Pau sieht aus wie das, was sie ist: Lehrerin für Deutsch und Kunsterziehung, Pionierleiterin. Daß sie inzwischen dem Hauptstadtverband der PDS vorsitzt – und das seit nunmehr sieben Jahren – das sieht man ihr nicht an: die Jahre im Berliner Abgeordnetenhaus, jetzt das Bundestagsmandat, früher die SED, die Parteihochschule, der Zentralrat der FDJ. Eine Karriere, die viele zu dem Schluß verleitet, diese Frau müsse eine Durchzockerin sein.

Angefangen hat alles mit einer netten Pionierleiterin in Petra Paus Schule in Lichtenberg. „Die war nicht vor allem politisch, sondern hat sich um uns gekümmert.“ Also wollte Petra Pau auch eine nette Pionierleiterin werden. Das mit der Politik war nämlich nicht von Anfang an klar. Weil die Mutter, „mit einem Flüchtlingstreck aus Pommern gekommen“, traditionell christlich orientiert war, ging die junge Petra auch in die Christenlehre und ließ sich konfirmieren. Der Vater, Kanalschachtmaurer, er hat an der Stalinallee mitgebaut, hatte es zwar nicht so mit der SED, aber seine Mutter wiederum war aktiv in der Partei, „davon war er schon geprägt“. Doch die Eltern wollten, daß sich die beiden Töchter, Schwester Heike ist eineinhalb Jahre jünger, selbst entscheiden konnten. Heike hat eine Ausbildung zur Verkäuferin gemacht. „Und ich habe mich anders entschieden“, so Petra Pau.

Die erste gesellschaftlich relevante Station war die Parteischule in Droysig, an der Pau sowohl ihre Lehrerinnenausbildung als auch die zur Pionierleiterin absolvieren konnte. Bevorzugte Auszubildende waren sie dort. Sogar mit den Offiziersklassen vom Wachregiment Feliks Dzerzinski wurden die Mädels zusammengebracht – einige Beziehungen aus der Zeit gibt es heute noch.

Die Absolventin Pau darf danach wieder nach Berlin statt in die Pionierrepublik am Werbellinsee – einem der Prestigeobjekte der DDR-Kinderbetreuung. Statt in den direkten Dienst der Partei verschlägt es die frischgebackene Lehrerin in den Prenzlauer Berg, an eine Hinterhofschule in der Dimitroffstraße. Verwirrend, nach dem Droysiger Roten Kloster im Berliner Milieu der Künstler und der sozialen Bedürftigkeit zu landen. In der Kanzowstraße in Prenzlauer Berg haust sie in einer ordentlich feuchten Wohnung, was ihr anhaltende gesundheitliche Problem mitgibt.

Aber irgendwann – man ließ die Schäfchen auch nicht ganz allein – geht die Karriere weiter. Um später in der Lehrerbildung zu arbeiten, unternimmt Petra Pau den Anlauf zu einem weiteren Studium und landet wieder an einer Parteihochschule. Diesmal in Berlin. In Droysig „war ich naiv“, bescheidet Pau, „das zweite Mal wollte ich einfach schneller durch das Studium der Gesellschaftswissenschaften. In Leipzig hätte es fünf Jahre gedauert, in Berlin drei.“ Unter Aufsicht des Zentralkomitees der SED wird aus der Pionierleiterin eine ausgebildete Funktionärin. Mit einer Einschränkung: Zu Ende der Ausbildung ist Petra Pau so krank, daß sie ein halbes Jahr erst mal nichts für den Sozialismus leisten kann.

Doch irgendwann ruft das sozialistische Vaterland, und Pau findet sich im Zentralrat der Freien Deutschen Jugend wieder: Sie koordiniert die Aus- und Weiterbildung der FDJlerInnen. Das ist allerdings schon kurz vor der Wende.

Vier Wochen braucht Petra Pau, bis sie nach dem 9. November 89 ihren Fuß in den Westen setzt. „Da war irgendeine Hemmschwelle“, sagt sie heute. Mit viel Mißtrauen begegnet die engagierte Sozialistin dem kapitalistischen Ausland. Und für sie ist klar: „Ich will mich nicht irgendwohin in die Bundesrepublik verpflanzen lassen.“ Die Pionierleitung besteht nur noch aus Abwicklung, das Land ist am Zusammenbrechen, auf die Meinungen vieler Leute in dieser Zeit ist kein Verlaß. Die junge Frau, die bisher scheinbar immer von einer Station in die nächste gestolpert ist, will sich das Heft trotzdem nicht aus der Hand nehmen lassen.

Dann passiert die Sache mit der PDS. Sie lernt junge Leute kennen, die sich in der damaligen SED-Nachfolgepartei engagieren, beim gemeinsamen Spielplatzbau im Hellersdorfer Schlamm. Die finden Gefallen an der engagierten Pionierleiterin, es folgt die Kandidatur in der Hellersdorfer Bezirksverordnetenversammlung, der Bezirksvorsitz, der stellvertretende Landesvorsitz, der Landesvorsitz.

Auch da war gerade niemand anders da, meint Pau – und die Männer wie Gregor Gysi hätten sich wohl gedacht, das junge Mädel sei leicht zu formen. Jetzt hat er sie sogar in der Bundestagsfraktion sitzen – und da wagt sie erstaunlichen Widerspruch.

Den gibt es von Petra Pau jedoch nur, wenn es um die politische Richtung geht. „Eigentlich hätte ich den Bundestag jetzt auch nicht noch gebraucht“, bekundet die Jasagerin. Zwar unterstützt ihr Mann, den sie ebenfalls in Hellersdorf kennengelernt hat, die Arbeit in der PDS, aber eigentlich gibt es ja noch mehr. Doch für das Mehr, zum Beispiel Familie, bleibt jetzt erst recht keine Zeit. Die Politik geht vor.