Der Likud vor der Zerreißprobe

In Israel wird im Mai gewählt. Es gibt so viele Parteien und Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten wie nie. Vor allem Netanjahus Partei läßt Federn  ■ Von Georg Baltissen

Die Köpfe sind die gleichen geblieben, nur die Kleider wurden verändert. Dan Meridor sieht aus wie eine ehemalige Bundestagspräsidentin, in einem schicken, gemusterten Kostüm, die Knie artig bedeckt, einen seidenen Schal um den Hals, den rechten Zeigefinger mahnend, aber mit einem gnädigen Lächeln in die Höhe gestreckt. Amnon Lipkin-Schahak gleicht einem plötzlich in die Höhe geschossenen Girlie, den Oberkörper leicht verrenkt, einen Zeigefinger im Mund, den Bauchnabel frei. Ehud Barak posiert als leicht amüsierte Lebedame, mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Ein langes, tailliertes Kleid betont die üppigen Formen der fülligen Frau. Und Benjamin Netanjahu, in weißer, prall gefüllter Bluse, beugt sich tief nach unten. Ober- und Unterkörper bilden fast einen rechten Winkel, rechter Arm und Zeigefinger sind nach vorn gestreckt, ohne Zweifel die schwierigste Position.

„Es geht nicht ohne die Damen“ lautet der Titel dieser Karikatur. Verteilt wird sie von einer israelischen Organisation mit dem ellenlangen Namen „Koalition von Frauenorganisationen zur Förderung von Frauen in der Politik“. Aber recht hat die „Koalition“, wie die Fotos auf dieser Seite beweisen. Nur Männer. Keine Partei in Israel kann eine Frau an ihrer Spitze vorweisen. Zwar haben alle Parteien Listenplätze für Frauen reserviert, gleichwohl in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Drei der ersten zehn Listenplätze sind es bei der linksliberalen Meretz-Partei, im Likud dagegen nur vier unter den ersten 35, bei der Arbeitspartei drei unter den ersten 20. Den religiösen Parteien verbietet sich die Aufstellung von Frauen ohnehin.

Wenn Israels Wähler am 17. Mai zur Urne gehen, dann dürften so viele Parteien und Ministerpräsidentenkandidaten antreten wie niemals zuvor in der Geschichte des Landes. Als erste hat die oppositionelle Arbeitspartei in der vergangenen Woche ihren Spitzenkandidaten gekürt. Erwartungsgemäß haben die rund 2.000 Delegierten ihren Vorsitzenden Barak auf den Schild gehoben. Überraschend war eher, daß die Parteirebellen klein beigaben und ihrem Vorsitzenden Treue schworen. Lediglich der Abgeordnete Haggai Merom hatte zwei Tage zuvor die Partei verlassen und sich der neuen Zentrumspartei von Lipkin-Schahak angeschlossen.

Doch Kritik an dem napoleonischen Führungsstil Baraks und wachsenden Unmut über die „Ein- Mann-Partei“ hatte nicht nur der Parteiflüchtling zum Ausdruck gebracht. Vor allem Generalsekretär Haim Ramon und der Vorsitzende der Jüdischen Agentur, Abraham Burg, waren als potentielle Überläufer gehandelt worden. Gegenwärtig verfügt die Arbeitspartei über 34 Abgeordnete in der Knesset. Obwohl Barak vollmundig versprach, 40 Sitze zu holen, gilt unter Wahlbeobachtern als ausgemacht, daß die großen Parteien Sitze einbüßen werden.

Der wahre Grund für die Zurückhaltung der Rebellen dürfte jedoch in der Tatsache zu suchen sein, daß Lipkin-Schahaks Partei einen wenig überzeugenden Start hinlegte. Zudem konnten sie sich nicht völlig dem Argument Baraks entziehen, daß die Arbeitspartei angesichts der zersplitterten Parteienlandschaft für Bündnisse offen bleiben müsse. Vorgemacht hatte dies bei der vergangenen Wahl der Likud, der gemeinsam mit der Tsomet- und der Gesher- Partei auf einer Liste angetreten war. Gehalten hat sie allerdings nicht.

Barak hofft nun darauf, den ehemaligen Außenminister David Levy und dessen Gesher-Partei in ein Bündnis einbinden zu können. Die Arbeitspartei tritt deshalb unter dem Firmenschild „Ein Israel“ an. Zudem bot der Parteivorsitzende auch Verteidigungsminister Mordechai (Likud) an, dieser Liste beizutreten, und versprach ihm gleich das Verteidigungsministerium. Vergeblich hoffte Barak darauf, auch seinen ehemaligen stellvertretenden Generalstabschef Lipkin-Schahak ins Boot holen zu können. Selbst Leah Rabin wollte dies als Legat ihres ermordeten Mannes verstanden wissen. Doch der Umworbene blieb standhaft: „Ich bin kein Linker und war nie Mitglied in der Arbeitspartei“, erklärte er.

Das Bündnis Lipkin-Schahaks mit der zweiten Zentrumspartei unter Dan Meridor ist zwar ausgemacht. Doch ob Lipkin-Schahak oder Meridor (Ex-Likud) die Liste anführen, steht dahin. Beide streben unverändert das Ministerpräsidentenamt an. Während sich die politische Aussage Lipkin-Schahaks bisher darauf beschränkt, Israel „im Inneren“ auszusöhnen, mittels Toleranz und Dialog, steht Meridor für eine „saubere Regierung“. Verantwortung und Rechenschaft lauten seine Kernworte. 30 Jahre hat Meridor im Likud Karriere gemacht, ehe er als einer der angesehensten „Prinzen“ im vergangenen Monat seine politische Heimat verließ.

Die Klischees von „rechts“ und „links“ hätten für ihn keine Aussagekraft mehr, sagte Meridor in einem Interview. Das dürfte in vielfachem Sinne zutreffend sein. So ist unter den großen Parteien relativ unstrittig, daß es in absehbarer Zukunft einen „palästinensischen Staat“ geben wird, selbst wenn derzeit niemand außer Außenminister Ariel Sharon (Likud) wagt, dieses „Gebilde“ beim Namen zu nennen. Der Wahlslogan des Likud, „Barak wird geben, der Likud wird bewahren“ ist deshalb blanke Demagogie.

Auf dem Parteitag drehte Barak den Spieß um. Die Arbeitspartei hätte niemals einen 13prozentigen israelischen Rückzug aus dem Westjordanland zugestimmt, wie er im Wye-Abkommen vereinbart wurde, behauptete er. Er warf Ministerpräsident Netanjahu sogar vor, Jerusalem wieder teilen zu wollen, ein Sakrileg in israelischen Augen, und deshalb kaum weniger demagogisch. Wie der Verhandlungsprozeß mit den Palästinensern fortgesetzt wird, hängt mehr denn je von der zukünftigen Koalitionsarithmetik ab.

Netanjahu ist gewiß nicht der Mann, der einen solchen Fortgang garantieren kann oder will. Angetreten war der amtierende Regierungschef 1996 unter der Parole, die Oslo-Vereinbarungen zu torpedieren. Dennoch zog er sich Anfang 1997 aus der Stadt Hebron im Westjordanland zurück. Die Unterzeichnung des Wye-Abkommens Ende Oktober brachte er nur noch mit Zustimmung der Arbeitspartei durchs Parlament. Obwohl er das Wye-Abkommen sofort aussetzte, als er den heftigen Widerstand in seiner Koalitionsregierung spürte, und Siedlungserweiterungen und den Baubeginn auf dem umstrittenen Hügel Har Homa bei Jerusalem versprach, konnte er die Großisrael-Protagonisten nicht mehr überzeugen. Alle Seiten waren seine Finten, Ausflüchte und leeren Versprechungen leid. Seither steht der Likud vor der Zerreißprobe. Zeev Begin, Sohn des früheren Ministerpräsidenten, trat aus dem Likud aus und gründete eine eigene Partei, die sich jeder weiteren Rückgabe von Land an die Palästinenser strikt widersetzt. Meridor driftete zur Mitte. Verteidigungsminister Mordechai überlegt noch.

Den größten persönlichen Schaden aber brachte Netanjahu die Gegenkandidatur des ehemaligen Verteidigungsministers Mosche Arens ein. Der Ziehvater des Ministerpräsidenten, der dessen Karriere wie kein anderer gefördert hat, tritt gegen seinen einstigen Protegé an. Und gesteht damit ein, sich in Netanjahu geirrt zu haben. Chancen hat er nicht gegen Netanjahu. Dieser hat nach wie vor einen Großteil der Parteimitglieder fest im Griff. Sie jubeln ihm zu, wie Fußballfans ihrem Superstar. „Ein starkes Israel braucht einen starken Mann“, sagt der Ministerpräsident. Mit populistischer Rhetorik zieht er seine Anhänger in den Bann.

Netanjahu hat in den vergangenen drei Wochen eine Ochsentour durch die Parteigliederungen des Likud absolviert. Er hat, entgegen seiner bisherigen Politik, versprochen, Pensionskürzungen für Rentner auszusetzen und allen Kindern ab drei Jahren einen kostenlosen Kindergartenplatz zu garantieren. „Wahlgeschenke“ schimpfte die Arbeitspartei, und das auf Kosten der Zukunft des Landes. Freilich war es die Opposition, die ursprünglich diese „Wahlgeschenke“ als Gesetzesvorlagen im Parlament eingebracht hatte.

Netanjahu weiß, wie man mit der Macht spielt. Nach einem Privatbesuch von Sarah und Bibi beim Ehepaar Mordechai Mitte vergangener Woche schossen die Spekulationen ins Kraut, Mordechai werde wieder den Schulterschluß mit Netanjahu vollziehen. Mordechai äußerte sich nicht. Außenminister Ariel Scharon sprach Netanjahu dagegen seine volle Unterstützung aus, obwohl er vor 14 Tagen noch erklärt hatte, daß er „unter gewissen Umständen“ selbst zur Kandidatur bereit stünde. Netanjahus Chancen im Likud sind jedenfalls gestiegen.

Doch droht der „Rechten“ immer noch das Dilemma von 1992, als der Likud die Wahlen gegen Rabin nur hauchdünn verlor. Damals war die Rechte weniger zersplittert als heute. Selbst die Siedler in den besetzten Gebieten haben jüngst eine eigene Partei, Tekumah („Wiederauferstehung“), gegründet. Bisher nicht in den Wahlkampf eingegriffen haben die religiösen Parteien. Besonders unglücklich über die Neuwahlen scheint die Nationalreligiöse Partei zu sein. Sie hat die traditionelle Unterstützung der Siedler verloren und Ersatz ist nicht in Sicht.

Die russische Einwanderungspartei Israel BaAliya hat zwar mit der Gründung von „Israel Unser Haus“ unter Netanjahus früherem Bürochef Avigdor Liebermann Konkurrenz bekommen. Doch zeigte sich Parteichef Nathan Scharansky relativ gelassen. Lieberman gilt als „russisches U-Boot“ von Netanjahu, und den Einwanderern dürfte das nicht verborgen bleiben.

Unruhe herrscht derzeit bei der linksliberalen Meretz-Partei. Es wird eine Kampfabstimmung um den Parteivorsitz geben und einen noch härteren Schlagabtausch um die Listenplätze. Derzeit verfügt die Partei über neun Sitze. Mehr als zehn traut sie sich selbst nicht zu. Drei sind für Frauen reserviert, drei für die Vorsitzenden der in diesem Bündnis vertretenen Parteien, einer für die arabische Minderheit. Die arabischen Israelis werden voraussichtlich drei Parteien ins Rennen schicken, da alle Versuche gescheitert sind, ein arabisches Bündnis aufzustellen. Erstmals gehen auch zwei grüne Parteien ins Rennen.

Ob die Regierungsbildung in der nächsten Knesset noch schwieriger, hängt nicht nur von der Vielzahl der Parteien in der Knesset ab. Mindestens so entscheidend ist, wer zum letzten Mal in direkter Wahl zum Ministerpräsidenten gekürt wird.