Jugendweihe West

■ Lichtorgel Led Zeppelin oder: Das Nachleben westdeutscher Kaderschmieden

Den Black-Panther-Prozeß von Zweibrücken machte der spätere Gründer des Verlages „Roter Stern“, K.D. Wolff, erst zu dem, was er wurde. Die Rassenunruhen in den US-Ghettos fanden ihre Fortsetzung in den deutschen US-Garnisonen und hatten juristische Folgen. Zum Prozeß reisten viele Studenten und schwarze GIs an. Die aufmerksame Zweibrücker Jugend bat letztere vor dem Gerichtsgebäude wiederholt um „Feuer“. Zum Beispiel Klaus Hüter (Jg. 54): „Dabei bemerkte ich ein dickes Stück Haschisch in seiner Streichholzschachtel. Der Schwarze trug ein Black- Panther-Barett und sagte ,All right, Brother!‘“ – Jugendweihe West. Der derart geadelte Hüter begründete mit anderen „Légéren“ sogleich die „Basisgruppe Zweibrücken“. Dazu wurde der Partykeller des Genossen List, genannt Swifty, zur revolutionären Studierstube umfunktioniert.

Genau umgekehrt, jedoch mit demselben Resultat, verlief die Entwicklung im mittelhessischen Limburg. Dort hatte Mathias Bröckers, Sohn des Bistumsblatt-Machers, später taz- Kulturredakteur und zuletzt Hanfhaus-Gründer, einen halbkirchlichen Diskussionsraum aufgetan, den man sukzessive zum angesagtesten Partykeller Limburgs ausbaute. Bröckers bastelte dazu u.a. eine Lichtorgel aus farbigen Glühbirnen, die er im Rhythmus von Led Zeppelin I, II und III an- und ausknipste. Auf dem Höhepunkt der Bewegung forderte der Limburger Oberbürgermeister die Schließung des roten Sündenkellers mit den Worten: „Die spritze' sisch da des puure LSD!“

In der nahen Universitätsstadt Gießen war ein Hauptanziehungspunkt das WG-Haus Händelstraße – mit Garten und offenem Feuer. Und vielen leichtbekleideten Studentinnen. Damals galt das BH-Tragen als Ausdruck der Knechtung der Frau. Der junge vom Wetzlarer „revolutionären Soldaten- und Reservisten-Komitee“ anpolitisierte Jurastudent Hans-Otto Prack war baff, als er das erste Mal in die antiautoritäre Schmiede kam. Und so wie ihm ging es 1973 vielen. In seiner zähen Solidarität mit der Sowjetunion verkörperte sich für Prack dann die Verbindung von Erotik und Sozialismus am gelungendsten in Katarina Witt – bis heute. Wobei sein Antiimperialismus vor allem der Außenpolitik der UdSSR folgte.

In Bremen war das Zentrum eine im Überschwang besetzte leere Faber-Castell-Fabrik, die von den 14 Besetzern sogleich ausgebaut wurde. Anschließend fuhren sie mit dem türkischen Genossen Suleyman nach Südanatolien in Urlaub. Suleyman bestand darauf, in den vier VWs jeweils fünf Kartons mit Kugelschreibern mitzunehmen, die man im Keller der Fabrik gefunden hatte. Das war weitsichtig: Die Karawane riß hinter Istanbul immer wieder wegen Pannen oder Pausen auseinander. Suleyman, der als Steuermann im ersten Wagen saß, begann daraufhin überall Kugelschreiber zu verteilen. Die anderen Fahrer brauchten bloß noch seiner Kulispur zu folgen: Es ging immer da entlang, wo Leute mit blauen Kugelschreibern in der Brusttasche am Straßenrand standen – und winkten.

Im Ruhrgebiet, nicht weit vom „Kamener Kreuz“ entfernt, in Werne, trat das lokale Kader-Komitee der SDAJ im Hinterzimmer des Imbisses „Kupfergrill“ zusammen. Insbesondere die Vertreterinnen des Werner Mädchengymnasiums gingen daraus derart ideologisch gefestigt hervor, daß sie zum Beispiel ihrem sudetendeutschen Deutschlehrer Willi Schmirgel die Leninsche Hauptschrift „Was Tun?“ nicht nur anempfahlen, sondern gleich in die Hand drückten. Noch 1998 rätselte Schmirgel: „Was sollten wir dagegen machen? Man kann, glaube ich, nicht mehr erziehen, die Leute suchen sich letztlich ihre Lehrer selbst aus...“ Die männlichen Schüler schrieben beispielsweise seitenlange Habermas-Passagen in ihre Deutscharbeiten, die weder sie noch ihre Lehrer verstanden. Was heute die Kanaak Sprak, war damals das Partei- oder Soziologenchinesisch.

Es gibt bereits Kreuzberger Viertkläßler, die ganze Ferienlager in der Schweiz dazu verwenden, um gleichaltrigen Provinzlern in der Abenteuerjurte die Metropolen-Sprak beizubringen. Die Kraft der außerschulischen Fortbildung tritt gerade beim Spracherwerb in Kreuzberg deutlich zutage. So spricht zum Beispiel der kleine Xerxes, sein Vater ist Perser, die Mutter Norddeutsche, fast fließend türkisch – aus dem Kindergarten. Damit werden aus lehrenden Eltern wieder lernende: „Dümmer macht das nicht!“ (K. Korsch). Umgekehrt profilierte die Juxtaposition – einen mobilen Ein-Mann-Rote-Hilfe- Stützpunkt in Husum wie einen Fels in der Brandung zu halten – den Enkel des Deichgrafen Philip Petersen derart, daß er später die KPD/RZ mitbegründete. Die Kreuzberger Patriotischen Demokraten/Realistisches Zentrum bekamen bei der letzten Kommunalwahl 3,9% der Stimmen des Problembezirks. Manche Initialzündung sozialen Lernens reicht drei Jahrzehnte zurück. Die Rote- Punkt-Aktion produzierte beispielsweise in Hannover eine regelrechte Lust am Politischen, deren Schwung bis heute nachhält. Auch die neue Bremer Linke ging noch aus dem dort letztmalig erfolgreichen Kampf gegen Fahrpreiserhöhungen bei der Straßenbahn hervor. Peter Brückner, der wegen Herausgabe eines Studententextes Berufsverbot bekam und daraufhin im „Club Voltaire“ lehrte, spricht im Zusammenhang des „Topevents“ – daß Kollektive sich selbst im Handeln erleben – von „Public Happiness“. Mathias Mildner