Wie eine Osterinsel im Weltraum

Wenn sich die Trends von heute fortsetzen, ist die Erde in knapp hundert Jahren am Ende, warnt das World Watch Institute in seinem Jahrtausendbericht  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Die Osterinseln wurden vor rund 1.500 Jahren als einer der letzten Flecken der Erde besiedelt. 3.200 Kilometer vor der südamerikanischen Küste schufen die Polynesier dort eine Wirtschaft, die Tausenden von Menschen ein Auskommen bot. Sie machten sich die Wasserhaltekraft der Bergwälder zunutze, bewässerten Felder, züchteten Kleinvieh und fingen Fische. Doch als Europäer im 17. Jahrhundert anlandeten, war nichts geblieben als ein paar riesige Steinfiguren. Die Zivilisation hatte ihre ökologischen Grundlagen ausgewachsen: Ausgedehnte Feldwirtschaft hatte die Bergwälder zerstört, es blieb kein Holz mehr zum Haus- und Schiffbau, und die Felder vertrockneten. Die Menschen zogen in Höhlen und hungerten. Konflikte brachen aus, Sklaverei und Kannibalismus griffen um sich.

Unsere ganze Erde ist heute eine Osterinsel im Weltraum. Und wenn die gegenwärtigen Trends anhalten, wird es ihr im 21. Jahrhundert nicht besser ergehen als der echten Insel vierhundert Jahre zuvor. Das ist die düstere Prophezeiung des Washingtoner World Watch Institutes, das im 25. Jahr seines Bestehens nun seinen 16. „Bericht zur Lage der Welt“ vorgelegt hat.

„Die UNO präsentiert jährlich alle möglichen Berichte zur Gesundheit, Ernährung, Bildung sowie zur Waffen- und Drogenproduktion, aber keinen zur Gesamtsituation der Erde“, sagt Lester Brown, Begründer und wissenschaftlicher Leiter des World Watch Institutes. „Diese Lücke wollen wir füllen.“ In einer Reihe von Ländern ist der State-of-the- World-Bericht, der in 30 Sprachen übersetzt wird, offizielles Regierungsdokument oder wird zumindest von der Regierung gedruckt.

In diesem Jahr verstehen ihn die Autoren als Jahrtausendbericht, mit dem sie die Zukunft der nächsten hundert Jahre aus der Geschichte der letzten tausend Jahre herauslesen wollen. Das Ergebnis ist gleichermaßen düster wie hoffnungsvoll. „Das Merkmal unserer bisherigen Geschichte ist ihre ständige Beschleunigung“, so Co-Autor Christopher Flavin auf einer Pressekonferenz in Washington. „Und ein ruhigeres Entwicklungstempo ist nicht in Sicht.“

Dauerte es noch 40.000 Jahre, bis die Weltbevölkerung im Jahr 1825 die Milliardengrenze überschritt, kam die zweite Milliarde schon Anfang dieses Jahrhunderts dazu, und an seinem Ende leben sechs Milliarden Menschen auf der Erde. Hundert Jahre später werden es wohl elf Milliarden sein.

Jahrtausendelang legten die Menschen durchschnittlich fünf bis zehn Kilometer in der Stunde zurück. Anfang dieses Jahrhundert waren es dann plötzlich fünfzig. Heute fliegen wir mit Überschallgeschwindigkeit, während unsere Botschaften uns mit Lichtgeschwindigkeit vorauseilen.

Konnten jahrtausende- und jahrhundertelang die natürlichen Grenzen unseres Lebensstils immer weiter hinausgeschoben werden und blieben ökologische Kollapse lokale Einzelfälle, droht nun die Globalisierung der Weltwirtschaft die Basis unserer Existenz zu zerstören. Sollte das Bevölkerungswachstum anhalten und der westeuropäisch-amerikanische Lebensstil Weltstandard werden, steigt die Zahl der Autos von 500 Millionen auf fünf Milliarden an, die wiederum vollzutanken die Förderung von 360 Millionen Barrel Öl erfordern würde – heute sind es noch 67 Millionen. Chinesische Wissenschaftler haben vorgerechnet, daß Chinas Fläche entweder für Straßen- und Parkplatzbau oder zum Anbau von Nahrungsmitteln genutzt werden kann – daß die Chinesen also entweder alle essen oder alle Auto fahren können, aber nicht beides. Sollte der Rest der Welt sich so wie die US-Amerikaner ernähren wollen, könnte der Fleisch- und Futtermittelbedarf nur durch zusätzliche Getreideernten erzielt werden. Zehn Milliarden Menschen benötigten neun Milliarden Tonnen Getreide – die Ernte von vier Planeten Erde.

Daß der Lauf der Geschichte nur mit einem gründlichen Umdenken gestoppt werden könnte, beunruhigte die Futuristen des World Watch Institutes nicht: „Noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts war Sklaverei weit verbreitet, innerhalb weniger Jahrzehnte dann galt sie inakzeptabel“, so Brown. Auch die Menschenrechte hätten sich in diesem Jahrhundert relativ schnell durchgesetzt. Ökologisches Wirtschaften könne „ähnlich schnell zur Selbstverständlichkeit werden“.

Die Chicagoer Weltausstellung von 1890, die eine Vorschau auf das Leben im 20. Jahrhundert geben wollte, sah die Emanzipation der Frau und den Sieg über die schlimmsten Seuchen voraus. Aber an Flugzeuge oder Computer dachten die Ersteller ebensowenig wie sie sich die Allgegenwart von Autos oder Aids vorgestellt hatten. Übrigens auch nicht die Weltkriege, die Konzentrationslager und das Massenelend der armen Länder. Auf die Frage, welche Gewähr also die Prognosen auf das 21. Jahrhundert bieten, wußte Brown keine Antwort.