Die USA drohen mit einem Militäreinsatz

■ Die OSZE-Beobachter allein können erneute Massaker im Kosovo nicht verhindern

Der Leiter der OSZE-Mission, William Walker, konnte vor Ort seine Erschütterung nicht verbergen. Die Art und Weise, wie das Massaker durchgeführt wurde, erinnert an frühere Untaten der serbischen Trupen. Ganz überraschend kommt es aber nicht. Die Menschen wurden aus den Häusern geholt und zu einem Exekutionsplatz geführt – manche von ihnen schon auf dem Weg dahin erschossen. Die Rechtfertigung der serbischen Behörden, die Polizei ginge lediglich gegen die „Terroristen“ vor, erweist sich wieder einmal als reine Schutzbehauptung.

Zwar hat das serbische Oberkommando aus taktischen und politischen Gründen den agierenden Soldaten und Spezialpolizisten die Zügel oftmals angelegt, manchmal aber auch gelockert. Das Massaker an der Jashari-Familie Anfang März vorigen Jahres – damals waren auch 18 Kinder unter den Opfern –, die Toten bei Decani im Juni, das Massaker von Orahovac im Juli, das rücksichtslose Vorgehen gegen jene, die angesichts der serbischen Offensive im Sommer in die Wälder geflohen waren, all dies sind Zeichen einer latent vorhandenen Bereitschaft, die kosovoalbanische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit als „Feinde“ einzustufen. Der ohnehin schmutzige Krieg hat eine ideologisch-politische Dimension, die von vielen internationalen Organisationen und Politikern nicht gerne angesprochen wird, jene nämlich, daß Albaner in den Augen vieler Serben schlicht „Untermenschen“ sind.

Aus der Behandlung des Falles der acht serbischen Polizisten, die von der kosovoalbanischen Befreiungsarmee UCK festgenommen waren und nach Intervention der OSZE-Vertreter freigekommen sind, läßt sich lernen. Die serbischen Polizisten wurden von der UCK korrekt behandelt. Und trotzdem ist die Rache fürchterlich. In ihr kommt das Bewußtsein jener zur Geltung, die es gewohnt sind, über die albanische Bevölkerung zu herrschen, sie aber nicht als gleichberechtigte Partner oder auch nur als gleichberechtigte Kriegsgegner anzuerkennen. Die Genfer Konvention spielt wie schon bei den Kriegen in Kroatien und Bosnien keine Rolle.

Wie kann von internationaler Seite reagiert werden? Das Massaker wird weltweit verurteilt. Gestern abend noch traf sich der Nato-Rat zu einer Dringlichkeitssitzung.

„Zunächst geht es darum, sich über die Einzelheiten zu informieren“, sagte ein Beamter. Der Aktivierungsbefehl für die Nato vom 13. Oktober vergangenen Jahres für Luftangriffe auf serbische Militärziele sei nur ausgesetzt, sagte eine Sprecherin der Regierung in einer ersten Stellungnahme und: „Die Option ist weiter offen.“

Vor allem die USA drängen also darauf, Milošević deutlich zu machen, daß die Drohung der Nato, einen Militärschlag durchzuführen, nicht vom Tisch ist. US- Präsident Bill Clinton erklärte, das Massaker verletze die Zusagen Belgrads an die Nato. In einem Brief an den russischen Amtskollegen drückte Aussenministerin Madeleine Albright ihre Empörung über das Massaker aus, wohl um Rußland zu einer Revision der bisherigen proserbischen Haltung zu bewegen.

Doch was bringen erneute Nato-Drohungen mit Luftschlägen und militärischen Einsätzen? Die Bombenangriffe auf den Irak haben zwar auch Belgrad gezeigt, daß zumindest die USA und Großbritannien bereit sind, ihren Drohungen auch Taten folgen zu lassen. Doch der Umstand, daß mit der Militäraktion gegen den Irak – zumindest bisher – politisch nichts erreicht worden ist, wurde nach Ansicht von der Regierung nahestehenden Kreisen in Belgrad als Ermutigung empfunden, die Karten im Spiel um das Kosovo erneut auszureizen. In einem Interview mit Newsweek hat Milošević einige der Zusagen zurückgenommen, die er dem amerikanischen Unterhändler Richard Holbroooke im Oktober gegeben hatte. So hat für ihn die in Makedonien stationierte internationale Eingreiftruppe, die alle OSZE-Mitarbeiter schützen soll, kein Recht, serbisches Hoheitsgebiet zu betreten.

Die zum Zuschauen verdammten OSZE-Beobachter stellen für die serbischen Sicherheitskräfte kein ernsthaftes Hindernis dar, weiter gegen Zivilisten vorzugehen. Und sie werden es tun, denn das Kosovo ist für Serbien nur durch militärische Gewalt unter dem Preis erneuter Menschenrechtsverletzungen zu halten. Bliebe alles so, wie es ist, sind weitere Massaker programmiert. Die albanische Befreiungsarmee UCK riskiert für die Befreiung des Landes alles. Viele Menschen werden auf beiden Seiten sterben. Von Nato-Seite kann also der Frage nach dem Einsatz auch von Bodentruppen nicht mehr ausgewichen werden, wollte man ernsthaft versuchen, den Krieg doch noch zu stoppen. Erich Rathfelder