Analyse
: Neuer Anlauf in Minsk

■ Die Botschafter der EU kehren wieder nach Weißrußland zurück

Die Vertriebenen kehren zurück: Gestern machten sich die Botschafter von Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Griechenland wieder auf den Weg in die weißrussische Hauptstadt Minsk. Im Juni vergangenen Jahres waren die Diplomaten unter Protest abgereist, nachdem sie auf Anordnung von Präsident Alexander Lukaschenko unsanft aus ihren Botschaften entmietet worden waren. Jetzt hat sich die weißrussische Regierung bereit erklärt, den mißliebigen Gästen neue Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und für entstehende Unkosten aufzukommen.

Schon damals war klar, daß die Räumungsaktion im Minsker Stadtteil Drozdy weniger eine Kapriole des dikatorischen Staatspräsidenten war, als vielmehr Ausdruck einer generellen Haltung gegenüber dem Westen. Und der hat in den Augen Lukaschenkos das Ziel, den weißrussischen Staat mit allen Mitteln zu unterminieren. Dieser Logik entspricht es, daß die Botschafteraffäre nur der vorläufige Höhepunkt einer Reihe von Affronts gegen Vertreter westlicher Staaten war. Zuvor waren bereits der Geschäftsführer der weißrussischen Soros-Stiftung sowie der erste Sekretär der US-Botschaft in Minsk ausgewiesen worden.

So hat das jetzige Entgegenkommen der Regierung rein gar nichts mit einem Gesinnungswandel zu tun. Im Gegenteil: Es ist vor allem die wirtschaftliche desolate Lage im Land, die Lukaschenko wieder die Annäherung an den Westen suchen läßt. Wo allerdings die wirklichen außenpolitischen Prioritäten Lukaschenkos liegen, hat die Vereinbarung mit Rußland vom 25. Dezember vergangenen Jahres gezeigt: Sie soll die Voraussetzungen für einen seit längerem geplanten engeren Zusammenschluß beider Länder schaffen.

Ungeachtet der Anbiederungsversuche Lukaschenkos in Richtung Moskau geht die Unterdrückung politisch Andersdenkender in Lande weiter. Dieser Tage startet die noch verbliebene Opposition einen neuen, verzweifelten Versuch, dem Regime etwas entgegenzusetzen. Ende Januar soll in Minsk ein Kongreß der „demokratischen Kräfte“ stattfinden. Semjon Scharetzkij, Vorsitzender des letzten legitimen Parlaments, das durch ein Referendum vom November 1996 abgeschafft wurde, will die Versammlung wieder einberufen und noch für dieses Jahr Präsidentschaftswahlen ansetzen. Die Sozialdemokraten haben zum Boykott der Kommunalwahlen im April aufgerufen, da wegen zahlreicher Manipulationen der Sieger schon jetzt feststeht. Aufgrund der Drohgebärden der Regierung an die Adresse der Oppositionellen ist klar: Wieder werden viele von ihnen in Gefängnissen landen. So wäre die EU schlecht beraten, wenn sie das Problem Lukaschenko mit der erneuten Entsendung ihrer Botschafter als erledigt betrachtete. Barbara Oertel