Jelzins Rolle ist nur noch dekorativ

Rußlands Präsident liegt wieder einmal im Krankenhaus und fällt mindestens drei Wochen aus. Vorgezogene Neuwahlen würden das Land überfordern  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Der russische Präsident Boris Jelzin ist am Wochenende an einem akuten Magengeschwür erkrankt und wurde in der Zentralen Kremlklinik zur stationären Behandlung untergebracht. Der Ärztestab verordnete dem Kremlchef für die nächsten drei Wochen strikte Bettruhe. Allein innerhalb des letzten Vierteljahres wurde der Präsident wegen schwerer Bronchitis und einer Lungenentzündung dreimal hospitalisiert.

Lebensgefahr bestehe nicht, behauptet das Ärztekonzilium. Dafür spricht zunächst, daß der Präsident medikamentös kuriert werden soll. Womöglich folgen die Gastroenterologen aber nur dem Rat ihrer Kollegen aus der Kardiologie. Ein operativer Eingriff würde bei dem herzschwachen Patienten voraussichtlich zusätzliche Komplikationen hervorrufen.

In den vergangenen zwei Wochen machte Boris Jelzin einen recht gesunden Eindruck. Er arbeitete und demonstrierte der Öffentlichkeit und politischen Gegnern, daß trotz aller Unkenrufe noch mit ihm zu rechnen sei. Für Ende Januar hatte das Präsidialamt sogar nach viermonatiger Zwangspause einen ersten Staatsbesuch in Frankreich anberaumt.

Dennoch konnte der bemühte Kraftakt des ehemaligen Alleinherrschers nicht darüber hinwegtäuschen, daß seine Ära seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im August 1998 der Geschichte angehört. Im Herbst hatte der Kremlchef Kompromißpremier Jewgeni Primakow bereits die Leitung der Tagesgeschäfte übertragen. Die Bewältigung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten überließ er dem neuen Premier. Primakow hat den Vertrauenskredit der Bürger auch noch nicht verspielt. Inzwischen gilt er neben Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow sogar als aussichtreichster Prätendent für das höchste russische Amt.

Gelegentlich kümmerte sich Jelzin noch um Angelegenheiten, die die sogenannten Kraftministerien betrafen. Nicht ganz selbstlos. In Rußland versteht man unter den Kraftministerien das Innen- und Verteidigungsministerium sowie den Geheimdienst FSB, deren Loyalität es sich ab und zu rückzuversichern gilt.

Das politische Moskau reagiert auf die neue Erkrankung des Präsidenten gelassen und angemessen, so, wie es der dekorativen Rolle des Staatsoberhauptes entspricht. Sollte der Präsident vor Ablauf der Amtszeit im Sommer 2000 ausscheiden, müßte Premier Primakow die Geschäfte kommissarisch weiterführen und nach drei Monaten Präsidentschaftswahlen abhalten. Ein vorgezogener Wahlgang würde Moskau zur Zeit nicht nur finanziell überfordern. Mit dem im Dezember stattfindenden Wahlen zur Staatsduma verlöre sich Rußland in einem permanenten Wahlkampf. Um die eigentlichen Probleme anzugehen, bliebe keine Zeit. Doch Skeptiker halten es auch unter den herrschenden Verhältnissen für unwahrscheinlich, daß die Führung eine Wendung zum Besseren herbeiführen kann.