Fetischsubjekt Euro

Euro-Skeptiker warnen vor Inflation, Verarmung und dem Verlust nationaler Identität. Die schlimmsten Befürchtungen sind vorerst überwunden. Die Euro-Angst ist umgeschlagen in Euro-Manie. Psychoanalytische Überlegungen zu den neuesten Geldphantasien  ■ Von Wolfgang Harsch

Noch vor Monaten machte sich der heutige Bundeskanzler zum populistischen Sprecher der Angst vor dem Euro und prognostizierte ihm eine kränkelnde Frühgeburt. Nun ist er da – der Euro, das gemeinsame europäische Geld. Seine Geburt selbst soll ohne Wehen verlaufen sein, den vorausbestimmten Geburtstermin zum 1.1. 99 hat er eingehalten, und sein Geburtsgewicht, das heißt sein Außenwert, ist in der erwarteten Bandbreite. Bei soviel verheißungsvoller Gesundheit begrüßte ihn die Börse mit einem Kursfeuerwerk. Börsendiagnostiker sprachen sogar von einer Euro-Manie. Nun soll der neugeborene Euro noch drei Jahre lang in weitgehender Abgeschiedenheit gepflegt, gestärkt und vermehrt werden, um sich dann am 1.1. 2002 erstmals der großen Öffentlichkeit zu stellen. Selbst der ursprünglich Euro-skeptische Bundeskanzler, der an der Euro-Zeugung unbeteiligt war, hat versprochen, ihn zu einem Erfolg zu machen und das Kohlsche Vermächtnis in seine Verantwortung zu übernehmen.

Es ist erstaunlich, daß die bis vor kurzem im Politik- wie im Mediendiskurs vorherrschenden ängstlich-depressiven Euro-Phantasien von Inflation, Verarmung, nationalem Identitätsverlust und Ohnmacht so schnell aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden sind. Aber das Geld kann für Angst- wie für Wunschphantasien als Projektionsfläche dienen. Exemplarisch für den nationalen Stimmungsumschlag steht der Spiegel. Während eine Ausgabe vom Februar 1998 noch die „Angst vor dem Euro“ in allen Facetten ausmalte und verstärkte, signalisierte dasselbe Blatt Anfang 1999 den „Aufbruch ins Euro-Land“ und den möglichen Aufstieg zu einer „neuen Weltmacht“.

Die Zukunft des Euros erscheint jetzt in den Medien durch kühne und manische Phantasien von Reichtum und Macht vergoldet. Große Wünsche und Erwartungen sind auf ihn gerichtet. Er soll, laut taz vom 5.1. 99, nichts weniger als ein „Herausforderer“ des Weltregenten US-Dollar werden und ihn mittelfristig „als Weltwährung“, als „Maß aller Dinge“ ablösen. Ein mächtiger Euro-Fetisch – ist es Zufall, daß seine Geburt auf die Jahrtausendwende fällt? – wird in Umrissen erkennbar. Was weder Christentum noch Liberalismus oder gar Sozialismus schafften, ein politisch vereintes Europa, diese Aufgabe wird nun dem Euro als dem neuen europäischen Identifikationsobjekt, das im Begriff ist, ein Fetischsubjekt zu werden, übertragen. Der Euro soll entsprechend dem Primat der Ökonomie oder als Medium der Systemintegration, das durch die Handlungsorientierung der einzelnen hindurchgreift, wirken. Man vertraut jetzt ganz auf die einigende Macht des Euro-Geldes, das durch seine Funktion des allgemeinen Kommunikationsmittels zum europäischen Gemeinwesen führen soll.

So liest man im Spiegel vom 4.1. 99: „Nichts bringt Menschen mehr zusammen als die gemeinsame Sorge ums Geld.“ Und die durch den gemeinsamen Euro herbeigeführte europäische „ökonomische Potenz“ soll oder muß sich dann „zur Politik bekennen“. Aber allzu hochfahrende Phantasien von einer Ummünzung der ökonomischen in eine politisch- militärische Potenz werden gezügelt: „Nicht als politisch-militärische Supermacht, nicht mehr als Kolonialherrschaft tritt dieses Neo-Europa nun auf, sondern als stille, stärkste ökonomische Potenz einer globalen Wirtschaft – ohne politischen Führungsanspruch über den Rest der Welt.“ Man begnügt sich mit der Phantasie, „im 21. Jahrhundert ein Leuchtfeuer für eine Welt zu werden, die reich und friedlich zugleich sein will“.

In diesem Sinn wurde auch das berühmte Revolutionsgemälde: „Die Freiheit führt das Volk an“ (Delacroix, 1831) als Titelbild des Spiegels umgestaltet: Die barbusige französische Marianne mit roter Jakobinermütze, die Europafahne schwingend, aber ohne Gewehr, führt zum „Aufbruch ins Euro-Land“. Die Leichenbarrikaden, über die sie steigen muß, und die bewaffneten Revolutionäre, die sie führt, sind verschwunden. Vielleicht soll sie auch die Göttin des Geldes – Europa Moneta – darstellen, die ihr Euro- Land in ein neues Goldenes Zeitalter führen möchte. Die Wunschphantasie von einem „doux commerce“, von einer friedlichen und die Welt befriedenden „Marktwirtschaft“ kam schon einmal im 18. Jahrhundert in Frankreich auf. Leider wurde diese Phantasie von der historischen Realität nicht bestätigt.

Euro-Phantasien sind durch die aktuelle Einführung des Euros angefachte Geldphantasien. Geldphantasien selbst sind historisch nichts Neues. Es gibt sie schon, solange es das Geld gibt. Das Geld oder Gold, als allgemeines Tauschmittel, ist sogar der Phantasieträger par excellence. „Gold“, rief Columbus aus, „ist ein wunderbares Ding. Wer dasselbe besitzt, ist Herr von allem, was er wünscht.“ Mit dieser Charakterisierung des Geldes wird aber auch seine Kehrseite ausgedrückt. Wer das wunderbare Wunscherfüllungsmittel nicht besitzt, ist gerade nicht Herr der eigenen Wünsche, sondern muß sich zum Knecht der Wünsche anderer machen. Wer das Geld nicht besitzt, wird deshalb alles daran setzen, es zu besitzen. Und wer es besitzt, möchte mehr davon besitzen, denn die menschlichen Wunschphantasien sind grenzenlos. Neid, Eifersucht und Streit zwischen den mehr oder weniger Besitzenden konterkarieren die einigende Macht des Geldes. Schon in der Antike wußte man, daß der Hunger nach Gold verflucht ist, „auri sacra fames“, weil er unstillbar ist und deshalb selbst vor Mord nicht zurückschreckt.

Die klassische Psychoanalyse hat die These aufgestellt, daß sich alle Geldphantasien auf unbewußte infantile Kotphantasien zurückführen lassen, weil das Geld als soziale Institution und als Wunscherfüllungsmittel unbewußt nach dem Vorbild des infantilen Kots geschaffen wurde. Der Kot wirkt im Phantasieleben des Kindes als Fetisch, indem er in die begehrten Besitztümer der Erwachsenen – Brust, Milch, Penis, Samen und Kind – verwandelt oder vertauscht wird. So wie der infantile Kot als allgemeines Tauschmittel der materielle Träger für die infantile Phantasiewelt ist, so ist das Geld der materielle Träger für das erwachsene Phantasieleben, das sich aber gerade dadurch als infantil fixiert erweist. Letztlich soll mit Hilfe des Geldes unbewußt das goldene oder paradiesische Zeitalter der frühen Kindheit wiederhergestellt werden, in dem scheinbar durch die Allmacht des infantilen Goldkots die Milchquellen der mütterlichen Brust wunschgemäß und unbegrenzt flossen.

Diese infantile Wunscherfüllung wurde aber in Wirklichkeit nur möglich, weil sich die Mutter selbst zur „Magd“ der Bedürfnisse und Wünsche ihres Kindes machte. Verweigert die Mutter die Nahrungsquelle, so fällt das Kind unsanft aus kindlicher Allmacht in kindliche Ohnmacht, denn Kot ebenso wie Geld ist bekanntlich nicht eßbar. Entsprechend kann es dem Geldbesitzer gehen. Auch bei ihm kann sich Allmacht schnell in ohnmächtige Angst und zerstörerische Wut oder in die entsprechenden Phantasien verwandeln.

Vielleicht sollte man sich bei aller Euro-Euphorie und Euro-Manie von der aufbauenden und vereinigenden Macht des Geldes an den berühmten alteuropäischen Tragiker Sophokles erinnern, der schon vor 2.500 Jahren auf die zerstörerische und spaltende Macht des Geldes, seine Kehrseite, hinwies: „Kein ärgrer Brauch erwuchs den Menschen als das Geld! Es äschert ganze Städte ein, es treibt die Männer weg von Haus und Hof, ja, es verführt auch unverdorbene Herzen, sich schändlichen Geschäften hinzugeben ... Verdienen darf man nicht um jeden Preis, denn schmutzige Gewinnsucht führt bekanntlich ins Unheil öfter als in Sicherheit“ (Antigone).

Das Geld als genuines menschliches Kulturprodukt kann weder besser noch schlechter sein als der Mensch selbst, sein Produzent. Wenn man es schon vom Menschen nicht erwarten möchte, daß er fähig ist, seine gesellschaftliche Zukunft befriedigend und friedlich zu gestalten, dann sollte man es auch nicht von seinem Produkt, dem Geld, erwarten – und sei es der neue Euro.