Jon mit den Scherenhänden

■ An Kindlichkeit und Abgründen sind Mercury Rev die klangliche Entsprechung zu den Filmen von Tim Burton

Was denn, schon wieder? War diese kauzige Ami-Kommune nicht vor wenigen Monaten erst in der Stadt? Ja, war sie. Aber seitdem gab es neue Kalender, und die üblichen Massen an Bestenlisten und in allen, allen, allen, ob hier, jenseits des Kanals oder des Atlantiks, stand Mercury Revs letztes Album Deserter's Songs ganz weit oben. „Back by popular demand“ oder doch eher „by critical demand“. Denn eine Mehrzweckhalle wird diese Gruppe zumindest auf Basis ihrer bisherigen Veröffentlichungen nie bespielen – auch wenn sie manchmal so ausladend zischen wie die frühen Pink Floyd.

Die Musik steht immer noch in direktem Bezug zu ihren Anfängen: der Vertonung von Naturfilmen während des heimatlichen Konsums weicher Drogen. Tatsächlich schließt sich gerade mit Deserter's Songs der Kreis, die teilweise poprockigen Gitarrenexzesse sind weitgehend exorziert zugunsten von Streichern und Bläsern mit einer Unzahl melodischer Anspielungen zwischen Volksweise, Soundtrack und Weihnachtslied. Weil diese aber nicht in einem kakophonischen Tutti zerhackt werden, bleibt die Musik flirrend, spannungsgeladen und gefährlich. Wie zum Beispiel das monströse Epos „Endlessly“, das sich von einer Singer/Songwriter-Basis mit sirenenhaftem Space-Age-Kitsch-Gesang, singender Säge und Kinderlied-Zitaten in unerhörte Ebenen emporschwingt, die den Gedanken an das, was am Ende von Beach Boys' Smiley Smile hätte stehen können, nochmal auf den Tisch bringt.

Als filmisches Pendant können die Werke von Tim Burton herhalten. Nicht gerade Batman, aber z.B. Nightmare Before Christmas oder Edward mit den Scherenhänden mit ihrem gleichberechtigten Maß an kindlicher Verspieltheit und dunklen Abgründen. Mercury Revs Welt ist voll von Geräuschen und verselbständigtem Spielzeug, zauberhaft wie ein Wizard of Oz, aber auch kompromißlos in ihrer Begeisterung für die kleinen Töne im großen Mahlstrom, der gerne zur körperlichen Erfahrung ausgewalzt wird. Daß sie dabei weniger gebrochen als The Verve, verhaltener als Radiohead klingen, liegt in hohem Maße an Jonathan Donahue zittriger Stimme, daran daß er sich eher die Zunge abbeißen würde, als in das Totschlag-Pathos der beiden britischen Jesus-Inkarnationen einzustimmen. Weniger Psychose, mehr Psychedelik.

Holger in't Veld Mo, 25. Januar, 21 Uhr, Logo