Pirouetten gegen Deklassierung

Das Kino der Rache: Für Hongkong in Action präsentiert das 3001 Martial-Arts-Werke, mit denen die einstige Kronkolonie zu einer der wichtigsten Filmmetropolen der Welt wurde  ■ Von Tobias Nagl

Am lustigsten waren die Titel: Die Italiener sprangen mit Spaghetti-Coproduktionen wie Mr. Hercules Against Karate oder The Five Supermen Of Asia auf den Zug auf. Die britischen Hammer-Studios hatten nur wenige Wochen zuvor Peter Cushing mit dem Kung-Fu-Horrorstreifen The Legend Of The Seven Golden Vampires ins Rennen geschickt. Da störte es eigentlich nur wenig, daß man in Hongkong, der zweitgrößten Filmindustrie der Welt, ebenfalls zu jeder Schandtat im Kampf um die Kinokassen bereit war – diente sie nur der Kostendämpfung. Die Soundtracks kamen meist aus der Dose, und zu den importierten westlichen Favoriten zählten bewährte Knaller wie Shaft oder Once Upon A Time In The West.

Innerhalb kürzester Zeit hatte ein kleiner, schmalbrüstiger Chinese das Bild des Asiaten im Kino radikal verändert. Mr. Moto und Dr. Fu Manchu gehörten für immer der Vergangenheit an. Daß dabei bisweilen das eine oder andere Nasen- oder Tischbein zu Bruch ging, tat allenfalls der pädagogischen Reputation der „chop sockies“ etwas Abbruch, nicht aber ihrer Beliebtheit in den Bahnhofs- und Ghettokinos der frühen 70er Jahre, flankiert von den gleichermaßen stigmatisierten Italo-Western und Blaxploitation-Thrillern.

Die Sprache dieses schmuddeligen „Kinos der Rache“ wurde zwar nicht von den Kritikern, aber in den nächtlichen Double Features sofort verstanden. Am akrobatischsten und musicalhaftesten war die Sprache dieser archetypischen Gewalt-Mythen in den Kung-Fu-Filmen aus Hongkong, den „Eastern“, wie sie schnell in Anlehnung an die (Spa-ghetti-)Western getauft wurden. Wenn der alles andere als den gängigen Schönheitsidealen entsprechende Bruce Lee in ungeschnittenen Totalen seine Pirouetten drehte, war er ein Fred Astaire Asiens, der den Deklassierten der Dritten Welt, aber auch den pickelnarbigen Unterschichtsjugendlichen des Westens auf ihren Bonanza-Rädern das zurückgab, was immer nur ein Instrument der Arbeit, Verleugnung und Repression gewesen war: ihren Körper. Der aus dem Off gesprochene Schlußsatz von Liu Chia-langs Die 36 Kammern der Shaolin spricht diese kinematographische Kompensation deutlich aus. Nachdem der Protagonist vom Abt des in der Mythologie des Eastern so zentralen Shaolin-Klosters die Erlaubnis erhalten hat, das Volk in der Kunst der waffenlosen Selbstverteidigung zu unterrichten, heißt es: „Denn schlimmer als alles andere ist es, wehrlos zu sein gegen Ausbeutung und Unterdrückung.“

Entscheidend für den Erfolg der Martial-Arts-Filme im Westen war zunächst gar nicht Bruce Lee, sondern Zhao – Der Unbesiegbare (der auch unter den Titeln King Boxer oder Five Fingers Of Death lief), ein virtuos inszeniertes Drama über die blutigen Auseinandersetzungen zweier Kampfschulen, mit dem Warner Brothers den amerikanischen Markt für Importware testete. Der Film war ein Produkt zweier ganz anderer Brüder, die zu dieser Zeit die zweitgrößte Filmindustrie der Welt kontrollierten: Runme und Run Run Shaw. Unbehelligt von Anti-Trust-Gesetzen, beherrschten sie Kinos, Hotels, Studios, Freizeitparks und Restaurants in ganz Asien.

Und weil es billiger und effizienter war, hausten selbst die Stars in Baracken auf dem Studiogelände, standen zu allen erdenklichen Tages- und Nachtzeiten zur Verfügung und wurden wie Angestellte wöchentlich bezahlt. Mit dieser Politik erzielten sie im ostasiatischen Raum Umsätze, die bisweilen an die Hollywoods heranreichten – definierten aber auch einen sehr vitalen, bunten und deutlich von Leones Cinemascope- und Telezoom-Einsatz geprägten Filmstil, der die narrative Stringenz jederzeit bereitwillig spektakulären Nummern-Einlagen opferte.

Wenn auch die ganz großen Stilisten des Martial-Arts-Films wie King Hu oder Chang Cheh fehlen, gibt es viel zu entdecken in der im 3001 stattfindenden Old-School-Hongkong-Reihe, die nun fünf ausgewählte Shaw-Brothers-Produktionen auf die Leinwand zurückbringt. Neben Zhao – Der Unbesiegbare, wundervollem Trash wie Die fliegende Guillotine, in dem die Artistik der Darsteller von einem mit Klingen besetzten, fliegenden Korb etwas, aber nur etwas, in den Schatten gestellt wird, und einer Shaolin-Filmnacht mit Die 36 Kammern der Shaolin und Die Rückkehr zu den 36 Kammern der Shaolin dürfte vor allem Das Blut der roten Python nicht nur die Herzen der Aficionados höher schlagen lassen. Grandios an der Kinokasse gefloppt, nimmt dieses bonbonfarbene, psychedelische Trash-Kleinod auf dem tricktechnischen Level japanischer Godzilla-Filme in mancher Hinsicht schon A Chinese Ghost Story vorweg. Gekämpft wird da natürlich nicht mehr mit Fäusten, sondern mit billig einkopierten Laserstrahlen, magischen Kröten oder sich in den Gegner hineinfressenden Schlangen...

Das Blut der roten Python: Do, 21. und Fr., 22. Januar, 22.30 Uhr. Shaolin-Filmnacht: Sa, 23. Januar, 22.30 Uhr. Zhao – Der Unbesiegbare: So, 24. und Mo, 25. Januar, 22.30 Uhr. Die fliegende Guillotine: Di, 26. und Mi, 27. Januar, 22.30 Uhr, 3001