Hommage an eine Erbsenschote

So weich wie aggressiv: Reinhold Engberdings Arbeiten bei „Die große Nacht“  ■ Von Hajo Schiff

Dem hohen schlichten Kellerraum ist eine zweite Säule hinzugefügt: schwarz mit barocken Schwellungen und aus Baumwolle gehäkelt. Das Konstrukt, vom Künstler „Bergedorfer Säule“ genannt, ist zwar exakt auf die Raumhöhe der Galerie gearbeitet, schlappt aber durch sein Eigengewicht von viereinhalb Meter Stoff am Boden wie ein vorgestellter Fuß zur Seite. So ist es irgendwo zwischen Berninis gedrehten Säulen und einem riesigen Insektenrüssel zu verorten. Wie alle Arbeiten von Reinhold Engberding zeichnet es sich durch ungewöhnliche Materialwahl aus und deutet in seiner Unbestimmtheit auf die individuelle Mythologie des Künstlers, in der sich Weiches und Aggressives verbinden.

Individuelle, ja private Ansätze sind in der aktuellen Kunst relativ häufig, eigene Handarbeiten aus Wollstoffen sind es nicht gerade. Zwar häkelt die New Yorker Künstlerin Kiki Smith, wo sie geht und steht, und die diesjährige deutsche Biennale-Repräsentantin Rosemarie Trockel arbeitet mit Haßkappen und Strickmustern. Doch Reinhold Engberding geht es weder um beiläufige Beschäftigung noch um das Alltagszitat, er sucht neue Formen nach klaren Verknüpfungsregeln. Denn mögen die blendend weißen Tischtennisbälle im schwarzen Schlund, der den Ausstellungstitel abgebenden „großen Nacht“ noch so zufällig verteilt wirken, sie sind ebenso wenig willkürlich, wie die assoziierbaren Sterne im Kosmos: Reinhold Engberding läßt in seinen Häkelskulpturen Verknüpfungen nur an den Stellen zu, an denen ohnehin ein Wollknäuel zu Ende ist.

Die Objekte des in Holstein lebenden Künstlers verweigern sich jedem Aha-Effekt. Auch die am Eingang aufgehängte, große Mandorla-Form mit ihren zwölf spiegelnden Silberkugeln ist seltsam ambivalent: Etwas Religiöses geht von ihr aus, aber eine eher sexuelle Deutung ist genauso möglich – oder zur Not kann das Teil auch prosaisch als Hommage an eine Erbsenschote durchgehen.

In ihren Segmentierungen und neuen Überlagerungen sind auch die 54teiligen Fotoarbeiten eher plastische Forschungen, hier aber am eigenen Porträt. Ausgangspunkt der oft schmerzhaft durch Mund, Nase und Augen gehenden Bild-Schnitte sind eher zufällige Schnappschüsse, deren Folienkopien mit der Schere zu neuen Kleinbildnegativen verarbeitet werden. Die Abzüge aus dem Industrielabor werden dann zu neuer Symmetrie kombiniert und erzählen von der Schwierigkeit, in „postmodernen“ Zeiten, sein Gesicht zu wahren. Der Titel dieser wandgroßen Porträts lautet „Bartole St. Strip“, ein Anagramm von „Selbstportrait“.

Daß Reinhold Engberding von seinem Kunststudium in Kiel her eigentlich ausgebildeter und mit Preisen und Stipendien ausgezeichneter Keramiker ist, läßt zwischen Häkel-skulpturen und Porträtwänden nur noch ein einziges der drei hier beiläufig hinter der Bar aufgehängten Multiples ahnen. Doch Ton ist ihm allzu leicht zu gestalten. Und so konstruiert er seine neuen, eigenartigen Formen durch Schneiden und Addieren von Fotos und eben Knoten für Knoten aus Stoffäden. Ähnlich geht er auch mit dem Material Sprache um. Doch seine literarischen Dekonstruktionen, Neubildungen und anagrammatischen Wortspiele werden einer kommenden Ausstellung in Berlin vorbehalten bleiben.

Künstlerhaus Bergedorf, Möörkenweg 18 b – g, Sa und So, 15 – 18 Uhr