„Fundamentalismus“ aus Bonn

■ HEW-Chef Timm ist skeptisch über Atomausstieg und glaubt an erfreuliche Bilanz. Kritik von GAL und Greenpeace

Der Vorstandschef der Hamburgischen Electricitäts-Werke AG (HEW), Manfred Timm, sieht den Konsensgesprächen mit der rot-grünen Bundesregierung über den Ausstieg aus der Atomenergie skeptisch entgegen. Er wisse gar nicht so recht, was die Chef-Manager der deutschen Stromkonzerne mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) besprechen sollten.

Dennoch sei er dafür, die Einladung ins Kanzleramt anzunehmen. Denn für die HEW, die rund 80 Prozent ihres Stroms aus Atomkraftwerken beziehen, haben die Bonner Entscheidungen existentielle Bedeutung. „Die vorgesehene Atomrechtsnovelle mit einer faktischen Beendigung der Wiederaufarbeitung ab dem Jahr 2000 dürfte zu unübersehbaren rechtlichen, finanziellen, logistischen und gesellschaftlichen Problemen führen“, argwöhnt Timm. Die Stromerzeuger benötigten mehr Zeit für den Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung. Mit „fundamentalistischen Entscheidungen von heute auf morgen“, glaubt Timm, ließen sich die Probleme nicht lösen.

Kein Problem hat der HEW-Chef offenbar damit, die Aktionäre zufriedenzustellen: Bei einem rückläufigen Umsatz von 2,7 (1997: 2,8) Milliarden Mark werde der Konzern in 1998 dank durchgreifender Kostensenkungen vermutlich ein „erfreuliches Ergebnis“ erzielen. 1997 hatten die HEW mit einem Gewinn von 145 Millionen Mark und einer Dividendenerhöhung auf 25 Prozent gleich zwei neue Rekorde aufgestellt.

„Der Atomkurs der HEW wird immer fragwürdiger“, kritisierte Lutz Jobs, energiepolitischer Sprecher der GAL, die Äußerungen Timms. Dessen Behauptung, mehr Zeit für den Atomausstieg zu benötigen, sei „nicht nachvollziehbar“. Eine direkte Einlagerung von Atommüll in Gorleben sei möglich. Zudem stehe es ohnehin in Frage, ob und wann Atommüll aus HEW-Meilern aus den Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague (Frankreich) oder Sellafield (Großbritannien) zurückgenommen werden müsse. Die Probleme mit den undichten Transportbehältern, erinnerte Jobs an den Atommüll-Skandal des Vorjahres, seien bekanntlich noch nicht behoben.

Deshalb sollten solche Rücktransporte nach Ansicht der Umweltorganisation Greenpeace auf keinen Fall in diesem Jahr erfolgen. „Wir brauchen einen Aufschub, um keine weiteren Fehler in der Atommüllfrage zu machen“, sagte Greenpeace-Energieexperte Roland Hipp gestern.

Die mehr als 1000 Tonnen noch nicht aufgearbeiteter Brennstäbe aus deutschen AKWs, darunter auch die HEW-Meiler Brunsbüttel und Krümmel, sollten daher zunächst im französischen La Hague und im britischen Sellafield bleiben. Später sollten sie dann in einer endlagerfähigen Verpackung in die Bundesrepublik zurückgebracht werden.

Wo der Atommüll zwischengelagert werde, müsse dringend geklärt werden. Der Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung bedeute aber zweifelsfrei, daß der Atommüll zurückgenommen werden müsse. „Eine nationale Entsorgung“, argumentiert Hipp, „ist unerläßlich“.

dpa/smv