Genrekost mit Zuckerguß

Mit trügerischen Bildern und frühen Filmen des Dogmen-Regisseurs Vinterberg präsentiert sich das Dänische Filmfestival in der Filmbühne am Steinplatz  ■ Von Gudrun Holz

Seit einigen Jahren experimentieren dänische Filmleute mit neuen Formaten. Die Mischformen zwischen klassischem Spielfilm und dem typischen Kurzfilm treffen sich unter dem Titel „Novellenfilm“. Jetzt haben das Dänische Filminstitut und die Fernsehsender TV2 und DRIV ein Joint- venture geschlossen. Was bedeutet, daß die Filme, unabhängig von den Spielfilm-Longplayern, regulär im Kino laufen und eigene Sendeplätze bei den Sendern erhalten haben.

Exemplarisch unter den 18 Filmen des Festivals sind die beiden Kurzspielfilme „The Man from the Deep“ (Manden fra dybet) und „Shadow of the Clouds“ (Skyernes skygge). Beide Filme verbindet eine melancholische, pessimistisch vorbelastete Atmosphäre. Auch wenn „Shadow of the Clouds“ (1996) von Jonas Cornel erst einmal realitätstüchtiger daherkommt. Geschildert wird die Geschichte der Initiation eines jungen Jurastudenten in die Lasterwelt der Clubs im Kopenhagen der fünfziger Jahre. Während zu Hause Mutti mit der Kaffeekanne und das Bild der Freundin warten, zieht es Jens (Thomas Villum Jensen) zu nächtlichen Kneipengängen mit seinem älteren Anwaltskollegen Erhard, die stets eher in Verzweiflung enden. Nach einer Erzählung von Klaus Rifbjerg verfilmt, wird die emotionale Enge dargestellt, in der der Student Jens, eingezwängt zwischen Konvention und Pflichterfüllung einerseits und den Lockungen von sexuellen Andeutungen und Saufgelagen andererseits. Seinen Counterpart spielt Ole Lemmeke – dem das Festival zwei Abendveranstaltungen widmet – mit ambivalenten homoerotischen Untertönen.

In der Science-fiction-Episode „The Man from the Deep“ von Martin Harbjer dagegen ist Lemmeke ein Strafgefangener, der in einer sinistren Unterseewelt ein U-Boot kapert, um endlich den Himmel zu sehen. Hier wird Genrekost mit metaphysischem Zuckerguß geliefert.

Gelegenheit bietet sich in der Filmbühne am Steinplatz auch, bei Thomas Vinterberg ins Nähkästchen zu schauen, bevor er als Dogma-Regisseur „Das Fest“ drehte. Gezeigt werden die zwei halbstündigen Kurzfilme „Last Round“ und „The Boy Who Walked Backwards“ (1994). Letzterer gibt sich träumerisch und aus der Kindergartenperspektive. Vinterberg drehte diesen Kurzfilm vor seinem ersten Spielfilm, „The Greatest Heroes“ als Etüde über trügerische Wunschbilder und kindliche Einsamkeit. Ein kleiner Junge verliert bei einem Unfall seinen Bruder und glaubt nur weiterleben zu können, wenn es ihm gelingt, die Zeit zurückzudrehen.

In der Dokumentar-Schiene läuft „Faces of Conflict“ (Anja Kublitz und Gerd Bylov Elmark), ein Doppelporträt zweier junger Männer, beide 32 Jahre alt. Gideon kommt aus Israel und ist in Jerusalem aufgewachsen, Wisam dagegen stammt aus Bethlehem und ist Palästinenser. Beide treten in einen Dialog als Talking Heads via Filmstatements, der sich um die Selbstmordattentate im Zentrum Jerusalems im Sommer 1997 dreht. Stadtimpressionen wechseln mit Ausschnitten aus Nachrichtensendungen. Obwohl beide zustimmen, sich persönlich zu treffen, macht die Schließung der Grenzen nach den Attentaten dies schließlich unmöglich.

„Life Will Be Lived – Letters from a Mother“ ist ähnlich konventionell in der Machart und setzt Reisebilder des Regisseurs Jon Bang Carisen gegen den im Off posthum verlesenen Briefwechsel mit seiner Mutter.

Einer ganz anderen Vergangenheitsrecherche widmet sich „Jacobs's Ladder“ von Nils Vest. Der Architekt Lauritz de Thurah, dessen Werk der Film erforscht, muß so etwas wie ein früher Gaudi des dänischen Barock gewesen sein. Jedenfalls baute er eine Kirche, deren Spitze sich spiralförmig in den Himmel schraubt und bis heute skurril den Stadtteil Christanshavn von Kopenhagen in babylonischer Formgebung überragt. Vest, der vorher einen Dokumentarfilm über den Freistaat Christiania drehte und dort selbst längere Zeit lebte, rekonstruiert mit ironischer Distanz die Entstehung des Bauwerks und die Renovierung der Kirche in der Gegenwart.

Daß unter den Filmen des Programms einige Oscar-Nominierungen sind, mag erfreulich sein – zu den interessantesten Beiträgen zählen sie jedoch nicht. „Wolfgang“ (Anders Thomas Jensen) ist eine Farce über die mäßig amüsanten Versuche eines angejahrten Komponisten, sich endlich von seiner Mama abzunabeln.

Auch die Kindergeschichte „Sweethearts“ von Birger Larsen spielt im Musikermilieu. Hier winkt dem Gewinner eines Liliputkonzerts zum Lohn das Herz seiner kleinen Freundin. Das ist doch was, nach nur zehn Minuten Film.

Vom 21. bis 27.1: Dänisches Filmfest, Filmbühne am Steinplatz, Hardenbergstraße 12, immer 22.15 Uhr, Sonntag zusätzlich 15.00 Uhr