Knast für Mail-Adressen

■ Ein chinesisches Gericht verurteilt einen Softwarehändler wegen Subversion

Der Prozeß in Shanghai fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Gestern wurde das Urteil gefällt: Der Angeklagte Lin, ein 30 Jahre alter Softwarehändler, wurde zu zwei Jahren Haft wegen „Subversion“ verurteilt. Lins Frau Xu Hong will das Urteil von einem Justizbeamten erfahren haben – auch sie durfte den Prozeß nicht beobachten. Demnach sieht es das Gericht als erwiesen an, daß Lin 30.000 E-Mail-Adressen an das von chinesischen Dissidenten in Washington und New York herausgegebene Internetmagazin VIP-Reference verkauft hatte.

Das Online-Magazin verbreitet unter www.ifcss.org/ftp-pub/org/dck/index.htmlregimekritische Nachrichten an rund 250.000 E-Mail-Adressen in China. Laut Xu ist Lin jedoch unpolitisch und hat die Adressen aus kommerziellen Gründen verkauft. Sie seien zudem frei zugänglich gewesen, weshalb Lin auf „unschuldig“ plädiert habe. Lin war am 25. März 1998 verhaftet worden. Der Prozeßauftakt am 4. Dezember ging einher mit Verhaftungen von Gründern einer Dissidentenpartei, die auch per Internet untereinander und mit Unterstützern im Ausland verbunden waren. Im Vergleich zu den Haftstrafen gegen die Parteigründer von 10 bis 13 Jahren fiel das Urteil gegen Lin milde aus.

Lin ist der erste Geschäftsmann aus der Computerbranche in China, der aus politischen Gründen verurteilt wurde. Ende Dezember waren zwei Hacker zum Tode verurteilt worden. Sie hatten sich Zugang zum Computersystem einer Bank verschafft und sich umgerechnet 140.000 Mark überwiesen. Vergangene Woche wurde in der Inneren Mongelei ein 13jähriger Hacker verhaftet.

„Illegale Aktivitäten“ mit Computern und Internet nehmen nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua um jährlich 30 Prozent zu. 95 Prozent der chinesischen Computer mit Internetanschluß seien bereits Ziel in- und ausländischer Hacker gewesen.

Nach Angaben von Xinhua verdoppelte sich die Zahl der Internetnutzer 1998 gegenüber dem Vorjahr auf 1,5 Millionen Menschen. Insgesamt gibt es in China 540.000 Computer mit Internetzugang. Seit 1996 wird die Nutzung des Netzes streng reglementiert. Die Regierung blockiert unliebsame Adressen ausländischer Organisationen und Medien, indem alle Zugänge über kontrollierte Server in Peking, Shanghai und Shenzhen laufen müssen.

Chinesische Internetcafés sind verpflichtet, eine Liste aller Nutzer zu führen. Einen eigenen Internetzugang bekommt nur, wer einen Bürgen vorweisen kann. Die Nutzer müssen sich verpflichten, nichts zu tun, was die Sicherheit des Landes in Gefahr bringen könnte. Ausdrücklich verboten sind das „Hacken“ sowie die Verbreitung von Computerviren und „böswilligen Informationen“.

Trotzdem verbreitet das zunehmende Versenden regierungskritischer Nachrichten über das Netz der Pekinger Führung wachsende Kopfschmerzen. Die Mails sind kaum zu kontrollieren, wenn sie anonymisiert und von wechselnden Adressen versandt werden.

Aber Chinas Behörden greifen auch selbst auf das Internet zurück. Anfang Dezember weihte die Staatliche Kommission für Entwicklungsplanung ihre Homepage ein (dp.cei.gov.ch). Sie ruft die Bevölkerung auf, ihre Meinung zum neuen Entwurf des Fünfjahresplans per E-Mail zu äußern. Die Kommentare werden auf der Homepage veröffentlicht. Die chinesische Jugendzeitung sah eine „Frühlingsbrise“ voraus, wenn nicht sogar eine „Revolution in der Art des Regierens“, denn: „Dies wird helfen, die Demokratisierung und die wissenschaftliche Entwicklung der Politik zu fördern.“

Doch die Kommission hat dafür gesorgt, daß die Revolution nicht um sich greift. Die Betreiber der Homepage behalten sich das Recht vor zu zensieren. Kommentare sollen sich auf Fragen der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung beschränken, und Meinungen, die „illegal sind oder die Sicherheit des Staates bedrohen“, sind nicht zugelassen. Gemeint sind Äußerungen, die das Herrschaftsmonopol der Kommunistischen Partei in Frage stellen.

Doch die Hacker geben keine Ruhe. Als die Regierung im letzten Oktober unter www.humanrights- china.org ihre Version der Menschenrechtslage darstellen wollte, war die Seite schon bald um bissige Kommentare und einen Link zu amnesty international ergänzt. Sven Hansen

hansen@taz.de