Sympathische Verlierer

■ Kleinstadtmelancholie und der Geruch der Kindheit: Sieben Erzählungen und eine Novelle von Sky Nonhoff

Erzählungen und Novellen werden in der Welt der Literatur eher stiefmütterlich behandelt. Verleger geraten vor Freude nicht gerade außer sich, und Redakteure rümpfen die Nase, wenn man ihnen ein Buch aus diesem Genre zur Besprechung anbietet. Daß solche Reaktionen nichts als Vorurteile sind, beweist Sky Nonhoffs neues Buch „boy meets girl“. Denn seine „Sieben Erzählungen und eine Novelle“ haben mehr zu bieten als manche dicke Schwarte aus der Bestsellerhitparade.

Sky Nonhoff sind Geschichten gelungen, deren Klang für einen deutschen Schriftsteller recht ungewöhnlich ist. Man geht wie selbstverständlich davon aus, daß er aus einer der Gegenden kommt, in denen auch einige seiner Erzählungen spielen: irgendwo aus einem trostlosen Nest auf der Britischen Insel in der Nähe der Atlantikküste. Sky Nonhoff lebt tatsächlich in Wales, die meiste Zeit aber in München, war in seinem früheren Leben Lektor und Frontman bei verschiedenen Bands, bevor er sich als Journalist und freier Autor durchzuschlagen entschloß. Mit der angelsächsischen Literatur kennt er sich bestens aus, und im letzten Jahr hat er es sogar geschafft, Goldmann eine Anthologie mit Stories von Martin Amis, Nick Hornby, Graham Swift, Roddy Doyle, William Boyd u.a. unterzujubeln („Off Limits!“).

Mit seinem Debüt „boy meets girl“ hat Sky Nonhoff nun bewiesen, daß er sich hinter den Großen des Metiers nicht zu verstecken braucht. Schon die erste Geschichte mit dem kuriosen Titel „Versuch über eine Autofahrt mit Lino Ventura“ bezaubert mit ungewöhnlichem Charme. Sie erweckt eine längst vergessene Melancholie, und sie bringt Kindheitserinnerungen zum Sprechen, die niemanden so leicht unberührt lassen. Da ist das unaufgeregte, fast langweilige Leben eines Jungen in einer tristen Kleinstadt. Seine Eltern lassen sich gerade scheiden, und er nutzt jede Gelegenheit, seiner jammernden und klagenden Mutter aus dem Weg zu gehen. Den Jungen interessiert jedoch nicht, wie ungerecht es auf der Welt zugeht, sondern nur, wie er die richtigen Worte bei der richtigen Frau finden könnte, bei Dianne, die hinter dem Tresen einer Kneipe arbeitet, wo ihr alle auf den zweiten Knopf ihrer Bluse starren. Da ist aber nicht nur die Sehnsucht nach dem großen erotischen Geheimnis, sondern auch die Angst vor einigen fiesen Burschen, die ihm einmal ziemlich übel mitgespielt hätten, wenn ihm nicht „der Dachdecker“ zu Hilfe gekommen wäre, „ein Tier, ein Monstrum, ein Goliath mit Spatzenhirn“, einer jedenfalls, mit dem sich ein Junge wie Julian ungern in der Öffentlichkeit zeigt.

Aus Dankbarkeit, oder weil es sich einfach so ergeben hat, nimmt Julian den Dachdecker mit auf eine Spritztour zum Meer, auf der sich eine ganz eigene, geheimnisvolle und bizarre Zuneigung zwischen den beiden entwickelt. Einfühlsam beschreibt Nonhoff die Annäherung zweier verschiedener Welten und läßt Julian in die exotische und verschrobene Wahrnehmung des Dachdeckers eintauchen. Das kommt unspektakulär daher, stilsicher, elegant und mit witzigem understatement, romantisch auch, ohne je ins Sentimentale, Kitschige abzudriften.

In Nonhoffs Universum ist der sympathische Loser die Hauptperson. Einer arbeitet in einem Hundesalon und fühlt sich wie Robert de Niro in „Taxi Driver“, ein anderer betreibt eine Pension und sammelt die zurückgelassenen Bücher der Gäste. Diesen schrägen Gestalten steht keine Karriere bevor, und wenn, dann wüßten sie nicht einmal, was sie damit anfangen sollten. Die Geschichten, in die man sich gerne verliert, sind so stark, daß sie auf den einen, entscheidenden Plot verzichten können, mit dem der Leser oft geködert wird, um ihn bis zum Ende bei der Stange zu halten. Manchmal wirken Nonhoffs Stories ein bißchen wie Filmausschnitte, alte französische Film-noir-Streifen oder gutes amerikanisches Kino, dem er mit Filmzitaten seine Reverenz erweist. Ein bißchen wirken sie auch wie „Short Cuts“ von Robert Altman, und mit Sicherheit ließen sich seine Kurzgeschichten gut verfilmen. Nonhoff ist eine Literatur gelungen, die meilenweit entfernt ist von jedem schnöseligen, artifiziellen Stil, von rhetorischen Kraftakten zur Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit, und daran liegt es möglicherweise auch, daß sein Buch ein Geheimtip bleiben wird, auch wenn „boy meets girl“ eine mindestens ebenso große Lesergemeinde verdient hätte wie Nick Hornbys „About a boy“. Klaus Bittermann

Sky Nonhoff: „boy meets girl“. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 1998, 290 Seiten, 25 DM