Nachruf
: Die Dame des Undergrounds

■ Ortrud Beginnen

Ende der siebziger Jahre gastierte sie beim Theaterfestival im französischen Nancy. Ihr Liederprogramm hieß: „Ich will deine Kameradin sein“. Die französischen Zuschauer reagierten gereizt. Die da oben auftrat, sah aus wie eine Nazisse und sang auch noch wie eine. Ganz Frontfrau, ganz Daheimgebliebene.

Man buhte sie aus. Da hatte Ortrud Beginnen mal wieder einen Skandal verursacht, ohne wirklich zu verstehen, weshalb man sie nicht ins Herz schließen wollte. Was ihr des Deutschen kaum mächtige Publikum nicht begriff, war der schlichte, aber meist mißverstandene Kunstgriff dieser in Hamburg gebürtigen Schauspielerin: Durch unironisches, nur leicht verschrägtes Spiel die Skandalität der von ihr einstudierten Charaktere kenntlich machen. Sie mußte immer erklären, ja beteuern, daß sie „entlarven“ wollte, nicht „gutheißen“.

Womit auch erklärt werden kann, daß die Beginnen, im Deutschland der BDM- Mächen großgeworden, von Linken, die die Eindeutigkeit immer bevorzugten, nicht sehr verehrt wurde. Erinnerlich sind ihre filigranen Programme wie „Letzte Rose“, „Front Theater“, „Die fromme Helene“ und „100 Jahre deutscher Humor“ – Bilderbögen aus dem Reich deutscher Mentalitäten. Sie spielte mit in Loriots „Papa ante Portas“, in Walter Bockmayers „Geierwally“, auch in Heinrich Breloers „Hamburger Gift“: Eine furiose Schauspielerin, die ihren Zuschauern zuliebe nie etwas getan hat, weil sie ihren Haß auf die Nazis, „auf die ganze braune Brut“, und ihre Liebe zu Deutschem immer ernst nahm – und deshalb nie billig veräppelte.

1995 wurde sie von der Zeitschrift Theater heute für ihre Rolle in Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“ zur Schauspielerin des Jahres gewählt – eine späte Anerkennung für eine, die ihren Platz eher im Underground sah und sich dort „auch gerne zu Hause fühlt“.

1976 hat sie eines der schönsten Memoirenwerke geschrieben: „Guck mal, schielt ja! Manuskripte aus dem Katastrophenkoffer“, leider nur noch antiquarisch erhältlich. Eine sehr komische Leidens- und Lebensgeschichte aus den Wirtschaftswundertagen der Republik. Die Verfasserin ist Dienstag im Alter von 60 Jahren nach langer Krankheit gestorben. Jan Feddersen