Woher sollen die Milliarden kommen?

■ Rot-Grün will die vom Verfassungsgericht vorgegebene steuerliche Entlastung für Familien noch bis zur Sommerpause in Angriff nehmen

Berlin (taz) – Woher nehmen und nicht stehlen? Noch bis zur Sommerpause will die rot-grüne Bonner Koalition einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem die jüngsten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur steuerlichen Entlastung von Familien umgesetzt werden sollen. Dies bestätigte gestern die Vorsitzende des Bundestagsfinanzausschusses, Christine Scheel (Bündnisgrüne). Die Aussage, daß durch die neue Regelung Steuermindereinnahmen von mehr als 20 Milliarden Mark entstünden, halte die Bundesregierung allerdings für „voreilig“, hieß es gestern aus dem Finanzministerium. Andere Zahlen wurden aber nicht genannt.

Scheel erklärte, man müsse zur Gegenfinanzierung der neuen Familienentlastung über Veränderungen beim Ehegattensplitting nachdenken. Auf die Erhöhung von Verbrauchssteuern wolle man nach Möglichkeit verzichten. Das Ehegattensplitting soll nach den bisherigen Plänen von Rot-Grün ab dem Jahre 2002 eingeschränkt werden – auf einen maximalen Steuervorteil von 8.000 Mark im Monat. Die frauenpolitische Sprecherin der SPD, Ulla Schmidt, erklärte gegenüber der taz, gegebenfalls müsse man das Splitting noch weiter begrenzen.

Schmidt sprach sich für eine Individualbesteuerung von Ehepaaren aus, wobei aber rechnerische Unterhaltsleistungen eines Ehemannes an seine nicht arbeitende Frau mit berücksichtigt werden müßten. Durch Einschränkungen des Splittings könnten etwa zehn bis elf Milliarden Mark umgeschichtet werden, so Schmidt. Eine Mehrwertsteuererhöhung zur Gegenfinanzierung der neuen Familienentlastung hielt Schmidt für problematisch. „Dadurch werden Familien wieder stärker belastet.“

In den finanzpolitischen Kreisen von SPD und Grünen soll in den nächsten Wochen über Einsparungsvorschläge diskutiert werden. Die bisher erwogenen Umschichtungen auch beim Ehegattensplitting reichen allerdings nicht aus, um die zu erwartenden Steuermindereinnahmen auszugleichen. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil können Familien künftig sehr viel mehr Kosten für Kinderbetreuung geltend machen als bisher.

Wie berichtet hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet, spätestens bis zum 1. Januar 2000 die Abziehbarkeit von Kinderbetreuungskosten neu zu regeln. Andernfalls gilt ab diesem Zeitpunkt ein zusätzlicher Freibetrag von 4.000 Mark im Jahr für Kinderbetreuungskosten. Diesen Freibetrag können dann Ehepaare zusätzlich für das erste Kind von der Steuer absetzen. Für jedes weitere Kind können 2.000 Mark geltend gemacht werden. Bisher gilt dieser Freibetrag nur für Unverheiratete und Alleinerziehende.

Des weiteren muß die Bonner Koalition bis zum 1. Januar 2002 die Abziehbarkeit von Haushaltsfreibeträgen neu regeln. Bisher dürfen nur unverheiratete Väter oder Mütter einen Freibetrag in Höhe von 5.616 Mark im Jahr von der Steuer absetzen. Verheiratete Elternpaare sollen künftig aber in den Genuß des gleichen Steuervorteils kommen. Damit könnte ein Ehepaar mit einem Kind ab dem Jahre 2002 zusätzlich mehr als 9.500 Mark an Kosten steuerlich geltend machen. Mit der Anhebung des Grundfreibetrags im Zuge der Steuerreform ergibt sich damit für eine dreiköpfige Familie mit mittlerem Einkommen eine jährliche Steuerersparnis von 230 bis 290 Mark (siehe Graphik). Dem Finanzministerium fehlen aber die entsprechenden Milliarden im Haushaltssäckel. BD